"American Sniper" Der tragische Held Chris Kyle

Düsseldorf · "American Sniper", der umstrittene neue Film von Clint Eastwood, erzählt die wahre Tragödie eines Kriegsheimkehrers. Der Film gilt als einer Favoriten auf den Oscar.

American Sniper - Bradley Cooper als Irak-Veteran
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American Sniper - Bradley Cooper als Irak-Veteran

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Der Mann liegt auf dem Dach eines Hauses in Falludscha, und er zielt auf einen kleinen Jungen, der mit seiner Mutter auf der Straße steht. Der Junge trägt eine Granate, er geht auf die Kameraden des Mannes zu. Der Mann schwitzt, er bittet per Funk um Einschätzung der Lage: schießen oder nicht? "Your call", lautet die Antwort, "deine Entscheidung". Der Mann schießt, der Junge stirbt. Die Mutter des Jungen nimmt die Granate und rennt schreiend auf die Soldaten zu. Der Mann schießt noch einmal, tötet die Frau, und die Granate explodiert, ohne einen Amerikaner zu verletzten. "Schöner Treffer", lautet der Kommentar. Es ist Krieg und der Mann ein Held.

"American Sniper" heißt der neue Film von Clint Eastwood, und Amerika erregt sich über die 60-Millionen-Dollar-Produktion des 84-Jährigen: Ist das eine nihilistische Darstellung der Dilemmata, denen sich Soldaten täglich ausgesetzt fühlen? Oder eine schwülstige Feier des Patriotismus? Die konservative Politikerin Sarah Palin habe im Kino geweint, verriet sie, aber auch die als progressiv geltende Jane Fonda bekundete, sie sei tief bewegt. Republikaner wie Demokraten lesen eine jeweils andere Botschaft aus diesem ambivalenten Film heraus, ihren unterschiedlichen Zielen gemäß. Eastwood selbst äußerte sich nur knapp: Er sei immer gegen den Irakkrieg gewesen, sagte er, außerdem verabscheue er Gewalt.

Innerhalb von vier Wochen spielte "American Sniper" 400 Millionen Dollar ein, er gilt inzwischen als erfolgreichster Kriegsfilm aller Zeiten. Es geht in den 134 Minuten um Chris Kyle, einen Navy-Seal, einen US-Elitesoldaten also. Diesen Mann gab es wirklich, er wurde "die Legende" genannt, weil er zwischen 2004 und 2009 als Scharfschütze 160 Menschen im Irak erschoss. Als er wieder zuhause war, konnte er die Dämonen des Krieges nicht abschütteln, sie schrien in den Frieden hinüber, und Kyle schrieb ein Buch über diesen inneren Kampf. Es heißt "American Sniper" und verkaufte sich fast zwei Millionen Mal. Kyle war nun Bestsellerautor, ein Star, dem Bronzedenkmäler in Provinzstädten gewidmet wurden, und allmählich schien er Ruhe zu finden. Er kümmerte sich um Kriegsveteranen, hielt mit ihnen Schießtrainings ab, weil er an deren therapeutische Wirkung glaubte. 2013 dann die Tragödie: Kyle wurde von einem Teilnehmer dieser Kurse erschossen.

Chris Kyle wird im Film von Bradley Cooper gespielt; der Zuschauer begleitet ihn bei vier Einsätzen in den Irak. Eastwood inszeniert extrem ökonomisch, bei jeder Fahrt ins Kriegsgebiet meint man die Stellschraube quietschen zu hören, mit der der Regisseur den Spannungsgrad justiert. Der Zuschauer bekommt alles aus der Sicht der US-Soldaten geschildert, Iraker werden daher als "Wilde" und "Barbaren" bezeichnet, jeder von ihnen scheint ein Feind zu sein, verschlagen und böse. Es gibt unfassbar grausame Szenen, etwa jene, in der ein "Schänder" genannter Mann Kinder mit einem elektrischen Bohrer foltert. Und es läuft alles auf einen Entscheidungskampf zwischen Kyle und dem Sniper der anderen Seite hinaus, der viele US-Soldaten getötet hat. Als ein mächtiger Sandsturm anhebt, bekommt Kyle den Mann ins Fadenkreuz. Er ist gut einen Kilometer entfernt, aber der Schuss würde Kyles Kameraden in Gefahr bringen; sie wären enttarnt und hätten kaum Gelegenheit zur Flucht. Kyle bleiben Sekunden: schießen oder nicht? "Your call."

Von François Truffaut stammt der Satz, dass es Anti-Kriegskino nicht gebe, dafür sei es filmästhetisch zu reizvoll, Krieg darzustellen. Der Satz trifft auch auf "American Sniper" zu. Wer es möchte, sieht einen einseitigen Film, der Ressentiments zementiert, als Werbevideo für Kameradschaft und Soldatenromantik durchgeht und viel Auge-um-Auge-Pathos bietet. Wer unvoreingenommen ins Kino geht, erlebt indes einen todtraurigen Film über Menschen, denen die Gesellschaft zu viel zumutet, weil sie sie vorschickt, um Dinge zu tun, die sonst niemand tun mag. In "American Sniper" sind die Helden Opfer.

Kyle führte ein Leben im Ausnahmezustand, und eine großartige Szene zeigt ihn nach Ablauf seiner 1000 Tage im Irak daheim im Fernsehsessel. Man sieht ihn von vorne, man hört Hubschrauber und Schüsse, und man denkt, er guckt bestimmt "Platoon" oder "Apocalypse Now". Dann wandert die Kamera, und als sie hinter Kyle verharrt, ist der Monitor des TV-Geräts schwarz. Der Krieg tobt in Kyles Kopf.

Parallel zum Filmstart begann der Prozess gegen den Mann, der Kyle erschoss. Er ist selbst Veteran, leidet offenbar unter Wahnvorstellungen und wird wegen Schizophrenie behandelt. Er gab an, geschossen zu haben, weil Stimmen es ihm befohlen hätten. Chris Kyles Witwe schilderte im Zeugenstand das Leben ihres psychisch versehrten Mannes, und was sie beschrieb, ist die Hölle. Sie hatte den Vater ihrer beiden Kinder im Irak verloren, obwohl er in keiner Gefallenen-Statistik auftauchte. Dazu passen Zahlen, die man überall liest: Täglich nehmen sich 22 Veteranen das Leben, und zwölf Prozent aller Obdachlosen in den USA sind Kriegsheimkehrer.

Die US-Leitartikler fragen nun, ob ein gerechtes Urteil in solch aufgepeitschter Stimmung möglich ist. In der Nacht zu Montag werden die Oscars vergeben, der Film ist sechs Mal nominiert. Der Prozess wird erst danach entschieden.

(RP)
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