Die Autokinos sterben aus Ein fast vergessener Ort der Freiheit

Köln · Vor 50 Jahren galten Autokinos als Goldgrube, heute gibt es in Deutschland nur noch knapp 15. Die Betreiber sind auf Zusatzeinnahmen angewiesen. Besucher schätzen besonders Ruhe und Anonymität der Freilichtkinos.

 Bilder einer endenden Epoche: Eine Szene in einem Autokino auf einem Parkplatz der Messe Hannover.

Bilder einer endenden Epoche: Eine Szene in einem Autokino auf einem Parkplatz der Messe Hannover.

Foto: dpa

Die Welt wird mal wieder bedroht. Hilferufe, Schüsse, Explosionen. Doch etwas stört die Actionszene. Auf der 540 Quadratmeter großen Leinwand scheinen sich mehrere Motten niedergelassen zu haben. Sie flattern durch das Bild, als gehörten sie zum Film. Und noch etwas stört. Die Leinwand ist irgendwie schmierig, hat Flecken von toten Insekten und weist Fingerabdrücke auf. So macht der Film keinen Spaß. Doch das Problem ist nicht die Leinwand, sondern die Autoscheibe. Die Rettung ist nah. Ein kurzer Druck - und die Reinigungsflüssigkeit sowie die Scheibenwischer vertreiben Motten und Schmutz. Endlich freie Sicht. Die guten Transformers können nun ungehindert die Welt retten.

Es ist warm an diesem Abend und der Himmel sternenklar. Im Kölner Drive-in läuft "Transformers - Ära des Untergangs". Das Autokino im Stadtteil Porz ist eines von nur noch 15 seiner Art in Deutschland. Es ist ein hartes Geschäft.

Das war nicht immer so. In den 1960er- und 70er-Jahren galten Autokinos als wahre Goldgruben. Das erste Freilicht-Kino in Deutschland, gleichzeitig eines der ersten in Europa, öffnete im März 1960 in Gravenbruch (Hessen). In der Spitzenzeit strömten hier jährlich 500 000 Zuschauer vor die große Leinwand. Heute sind es noch knapp 100 000. Das Autokino in Köln verzeichnet rund 50 000 Zuschauer.

Dabei hat der Besuch im Autokino etwas Besonderes. Sternenhimmel, Mondschein, Dunkelheit in den Autos - Romantik durchweht die Reihen. Ein Autokino ist entspannter, anonymer und intimer als ein klassisches Kino. Es ist ein fast vergessener Ort der Freiheit. Seine Besucher sind selbstständig. Die Kleiderwahl ist egal, es sieht ja keiner. Man darf reden, die Füße hochlegen, den Klingelton eingeschaltet lassen, rascheln und schmatzen. Niemand beschwert sich. Privatvorstellung.

Der Pkw wird zum Kinosaal, das Synonym für Mobilität zweckentfremdet. Es verschwimmt mit der Immobilität. Der Parkplatz ist die persönliche Loge. Der Besucher schaut den Film durch eine Scheibe. Das stört aber nicht, spiegelt vielmehr die Nostalgie wider. Die Scheibe sichert Intimität. Zwischendurch laufen die Motoren, aus Angst, die Batterie könne ihren Dienst einstellen. Das macht das Autokino aus.

Das Freilichtkino-Konzept geht auf Richard Hollingshead Jr. zurück, einen Amerikaner - natürlich! Er eröffnete am 6. Juni 1933 in Camden (US-Staat New Jersey) das erste Drive-in. Filmvorführungen sollten das Geschäft seines Vaters ankurbeln. Mit steigender Mobilität erlangten die Autokinos in den 1960er-Jahren den Höhepunkt ihrer Popularität. In der Spitze gab es in den USA 4000 Autokinos. Die Autokinos sind in ihrer einfachen und unkomplizierten Form prädestiniert für den American Way of Life.

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Die Beach Boys schrieben 1964 gar einen Song über das Autokino. In "Drive-in" heißt es: "Vergiss die Handlung, es geht auch so. Aber sorge dafür, dass du genug gesehen hast, um nachher davon zu erzählen. Ich liebe das Autokino." Das Autokino war auch selbst häufig Bestandteil in Filmen und ist es heute noch. In "Grease" versucht Danny (John Travolta), Sandy (Olivia Newton-John) näherzukommen. Auch in "Die Outsider" und im dritten Teil von "Zurück in die Zukunft" gibt es eine Szene im Autokino.

Der Niedergang der Autokinos hat mehrere Gründe. Der wachsende Heimvideomarkt sowie die Privatisierung des Fernsehers brachten Blockbuster auch in das heimische Wohnzimmer. "Entscheidend war auch 1980 die Wiedereinführung der Sommerzeit", sagt Wolfgang Holl, Chef der Drive-in-Kette. Vor 22.30 Uhr können die Filme meist nicht beginnen. Das bedeutet, dass pro Abend in der Regel nur ein Film gespielt wird.

Vor der Leinwand, auf der gleich "Transformers" abgespielt wird, parken in mehrere Reihen Dutzende Pkw. Ihre Insassen haben es sich gemütlich gemacht und genießen ihre Freiheit. So auch Stefan (25) und Verena (23). Sie mögen die Atmosphäre des Autokinos. "Es ist ein besonderes Filmerlebnis", sagt Stefan. Man habe beste Plätze und seine Ruhe. Andere Besucher störten einen nicht. Er widmet sich wieder seiner Freundin. Sie knutschen. Das ist Autokino.

Der Sound spielt beim Filmerlebnis auf dem Parkplatz eine untergeordnete Rolle. Er wird via Radio übertragen. Häufig schallt es, wenn mehrere Radios gleichzeitig zu hören sind. Und wenn man sein eigenes Radio ausschaltet, bekommen Verfolgungsjagden, Ballereien und Liebesszenen eine bizarre, fast lächerliche Note.

Pro verkaufter Eintrittskarte fließen 53 Prozent der Einnahmen an den Filmverleih. "Ich würde heute kein Autokino mehr eröffnen", sagt Wolfgang Holl. Die Betreiber sind auf Zusatzeinnahmen angewiesen. Die Snackbar reicht nicht. Das Konzept der fünf Drive-in-Spielstätten ist identisch. Mit samstäglichen Gebrauchtwagen- und regelmäßigen Trödel,märkten werden Zusatzeinnahmen generiert. Dank des erweiterten Konzeptes sei es in den vergangenen Jahren wieder leicht bergauf gegangen. Ohne eine zusätzliche Nutzung der Fläche sei das Autokino nicht überlebensfähig.

Und die Leinwand bliebe weiß.

(RP)
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