Berlinale 2016 "Chi-Raq" — kein Frieden, kein Sex

Berlin · Bei der Berlinale begeistert Regisseur Spike Lee mit einem HipHop-Musical. Es werden zotige Witze erzählt. Und Schauspieler Colin Firth entdeckt einen Jahrhundertroman.

Diese Stars besuchten die NRW-Filmstiftung auf der Berlinale
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Foto: Holger Lodahl

Schade, dass "Chi-Raq", der neue Film von Spike Lee, im Wettbewerb nur außer Konkurrenz antritt. Das ist ein HipHop-Musical mit Groove, völlig überdreht, aber hoch amüsant. Toll anzusehen zudem, fantasievoll und mitreißend.

Es geht um Chicago, wo in den vergangenen Jahren mehr Menschen bei Gewalttaten gestorben seien als im Krieg im Irak, wie es zu Beginn heißt. Die meisten Dialoge sind als Rap-Battles angelegt, Samuel L. Jackson gibt den Conférencier. Zwei Banden kämpfen in Spike Lees fiktionalisierter Southside gegeneinander, und deren Frauen verbünden sich schließlich, um die Stadt vor noch mehr Unheil zu bewahren: Wie bei "Lysistrata" verweigern sie sich ihren Männern. Kein Frieden, kein Sex.

Spike Lee bleibt ja am 28. Februar aus Protest gegen die ausschließlich weißen Nominierungen der Oscar-Gala fern. Deshalb hatte man eine wütende Pressekonferenz erwartet, doch Lee blieb verhältnismäßig ruhig. Er streike nicht, sagte er, er gehe halt einfach nicht hin. Und dass er Hillary Clinton unterstütze, sagte er auch. Jedenfalls: Bloß nicht Donald Trump.

Lee habe mal einen Empfang für Präsident Obama gegeben, und der sei tatsächlich von jemandem begleitet worden, der an eine Aktenasche gekettet war. "Ich habe das immer für einen Mythos gehalten, aber es stimmt: Der Präsident kann jederzeit ein paar Nummern eingeben, und dann fliegen die Atomraketen." Er wolle nicht, dass Trump das machen könne.

Ansonsten gab es zuletzt wenig Erfreuliches im Wettbewerb. Der Tiefpunkt bisher ist "Jeder stirbt für sich allein", die Verfilmung des Romans von Hans Fallada aus dem Jahr 1947. Das Buch erzählt von einem Ehepaar im Berlin der frühen 40er Jahre. Es hat seinen Sohn im Krieg verloren, und nun verteilt es Postkarten in der Stadt, darauf stehen Parolen gegen die Nazis.

Das Buch erschien 2010 in Amerika erstmals in englischer Übersetzung und löste einen Boom aus, ein Fallada-Revival. Also lag es nah, eine internationale Verfilmung zu produzieren. Emma Thompson spielt mit, Brendan Gleeson, und beide sprechen Englisch mit deutschen Einsprengseln: "Thank you, Mr. Obersturmbandführer."

Die Kulissen sehen arg nach Kulissen aus, gebügelte Hakenkreuz-Fahnen hängen aus Fenstern, und überall stehen gut frisierte Steppkes mit kurzen Hosen herum, weil das im Berlin der 40er Jahre nun mal so war. Natürlich ist es nicht leicht, diese Zeit nachzubauen, aber das ist eben die Herausforderung bei einem solchen Epochenporträt. Daniel Brühl macht als Nazi-Ermittler mit Magnum-Bart seine Sache noch am besten, aber er kann der Produktion auch kein Leben einhauchen. Man bleibt unberührt und ratlos.

Etwas gediegen, wenn auch toll gespielt, ist auch "Genius". Colin Firth ist in dem Kinodebüt von Regisseur Michael Grandage jener Lektor von "Scribner's", der F. Scott Fitzgerald und Hemingway betreute. Nun kommt ein gewaltiges Manuskript auf den Tisch dieses Max Perkins, es ist der Jahrhundertroman "Schau heimwärts, Engel" von Thomas Wolfe.

Der Autor steht bald auch im Raum; Jude Law legt ihn als überspannte Person an, er brennt an beiden Enden, wie man so sagt. Firth sitzt im Grunde nur da und verzieht manchmal eine Miene, Law gibt alles, und im Hintergrund breiten Laura Linney und Nicole Kidman eine Decke des Wohlgefühls aus. Gut anzusehen, aber ebenfalls ohne Anbindung ans Zuschauerherz.

Zum Schluss sei noch der Witz erzählt, mit dem "Soy Nero", das Einwanderer-Drama von Rafi Pitts, das am Ende zum wüsten Kriegs- und Actionfilm wird, beginnt: "Eine Ameise begegnet einem Elefanten. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Sie tanzen zusammen, sie küssen sich und haben die ganze Nacht Sex. Am Morgen ist der Elefant tot. Sagt die Ameise: Mist, für einmal guten Sex muss ich mein Leben lang ein Grab schaufeln."

(hol)
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