"Nobody Wants the Night" Mit dem Grammophon in die Arktis

Berlin · Die Berlinale beginnt mit einem ambitionierten Eröffnungsfilm. "Nobody Wants the Night" erzählt von Frauen und der Eroberung des Nordpols aus weiblicher Sicht. Leider schwelgt das Drama mit Juliette Binoche allzu sehr in bedeutungsschweren Bildern.

Berlinale: Ambitionierter Eröffnungsfilm "Nobody Wants the Night“
Foto: Krings

Sie will aufbrechen. Weiter hoch in den Norden, obwohl der Winter schon angebrochen ist. Bald werden die Schneestürme kommen, das Sonnenlicht wird verschwinden und dann ist das Überleben fast unmöglich im Ewigen Eis der Arktis. Aber Josephine Peary, Gattin des Nordpol-Eroberers Robert Peary, will zu ihrem Mann. Sie will ihn im nördlichsten Lager erwarten, wenn er seine Mission erfüllt hat: den Nordpol erreichen, die amerikanische Flagge hissen. Eiserner Wille, Mut und der Glaube an die eigenen Ziele — für Josephine sind das die Errungenschaften der Zivilisation - und Garanten für die Überlegenheit ihrer Nation. In "Nobody Wants the Night" entpuppen sie sich als Ausweis ihres Hochmuts. Und der falsche Stolz der weißen Frau wird Opfer kosten.

Sechs Filme hat die Spanierin Isabel Coixet bereits bei der Berlinale vorgelegt, einmal war sie Mitglied in der Jury. "Nächstes Jahr reiße ich in Berlin auch noch Tickets ab", sagte die temperamentvolle Regisseurin vor Journalisten. Sie ist die zweite Frau nach Margarethe von Trotta, die eine Berlinale eröffnen durfte. Und das mit einem Film, der von Frauen handelt, aus weiblicher Sicht von der Eroberung des Nordpols erzählt.

Es war ein ambitionierter Auftakt der Berlinale am Donnerstagabend. Gezeigt wurde ein bildmächtiger Film mit politischer Aussage, der dem gebildeten Westen seine Borniertheit vorführt. Denn die stolze Polarforscher-Gattin, die sich auf ihrer Reise in den Norden nicht aufhalten lassen will, strandet in der feindlichen Natur. Nur eine Inuitfrau steht ihr zur Seite. Doch der Hochmut der reichen Ausländerin, die mit Grammophon und Silberbesteck in die arktische Kälte zieht, steht lange zwischen den beiden Frauen. Erst als die unerbittliche Natur sie gemeinsam in einen Iglu zwingt, als die Elemente toben und der Tod schon nahe ist, lernt Josephine ihre Lektion. Sie verliert ihren Dünkel, erfährt, was Menschlichkeit ist. Für die Ureinwohnerin aber ist das zu spät.

Juliette Binoche spielt diese tapfere, aber verblendete Josephine mit großer Vielschichtigkeit. Sie habe sich vorgestellt, dass ihre Figur ein Pfau ist, sagte Binoche in Berlin, ein Pfau, der sich in der Wildnis in einen Hund verwandelt, der mit vier Pfoten auf der Erde steht. Das ist ein gutes Bild, tatsächlich ist ihre Josephine zwar eine mutige Frau, die nicht zurückstecken will hinter der Tapferkeit ihres Mannes. Auch sie will Entdeckerin sein, mit ihm durch die weiße Hölle gehen. Aber dann ist sie der Wildnis nicht gewachsen, zu edel für den Iglu. Und zu hochmütig, um ihr Scheitern einzugestehen. Und natürlich ist das eine Metapher. Steht die Geschichte für die Borniertheit des Westens, der ohne Rücksicht Ressourcen verprasst, während die Inuit hilflos erleben müssen, wie ihre Heimat wegschmilzt.

Allerdings hätte es nicht aktueller Bilder am Ende bedurft, um diese Botschaft zu vermitteln. Wie der Film überhaupt zu dick aufträgt, zu deutlich auserzählen will. Da genügt es nicht, dass zwei Frauen in der Wildnis gegen Schneestürme, zusammenbrechende Hütten und den Hunger kämpfen. Da muss in der unendlichen Nacht dieses Winters auch noch ein Kind geboren werden, während der Iglu von außen vereist. Juliette Binoche kann man eine Geschichte auch mit weniger drastischen Wendungen überlassen. So kehrt der Zuschauer mehr erschöpft als erschüttert zurück aus dem Ewigen Eis. Immerhin wirkt Berlin da mit seinen kleinen Eisinseln im Stadtbild fast freundlich.

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