Michael Ballhaus Das Auge Hollywoods ist erblindet

Berlin · Michael Ballhaus ist der berühmteste Kameramann der Welt. Nun zieht sich der 80-Jährige zurück. Eine letzte Begegnung in Berlin.

 Michael Ballhaus (links).

Michael Ballhaus (links).

Foto: Philipp Holstein

Michael Ballhaus wird in die Suite im achten Stock des "Mandala Hotel" geführt. Er bewegt sich mit kleinen suchenden Schritten voran, dann setzt er sich langsam auf einen Stuhl. Er trägt ein Tweedsakko und ein blütenweißes Hemd darunter, das weiße Haar hat er nach hinten gestrichen, über die Oberlippe läuft ein feiner Bart. Ballhaus ist 80 Jahre alt, er ist zurückgekehrt in seine Heimat Berlin, zurück aus den USA, wo sie ihn "das Auge Hollywoods" genannt haben. Er war die rechte Hand Martin Scorseses bei Filmen wie "Gangs Of New York" (2003) und "Zeit der Unschuld" (1993), er hat mit Robert Redford gearbeitet, für Francis Ford Coppola "Dracula" ('92) eingerichtet und "Air Force One" ('97) mit Wolfgang Petersen. Auch die aufs Klavier gegossene Michelle Pfeiffer in "Die fabelhaften Baker Boys" ('89) hat er gefilmt. Im Kino war er jedoch schon lange nicht mehr. Ballhaus ist fast blind.

"Sie beschreibt mir dann, was sie sieht"

Ob das für ihn, der stets mit den Augen gelebt und gearbeitet hat, nicht besonders schlimm ist? Er habe sich daran gewöhnt, antwortet er ruhig, es sei der Grüne Star, und er habe nun eine andere Erfüllung gefunden: die Weltliteratur. Er lasse sich Romane vorlesen, die Klassiker; er kaufe Hörbücher, gerade erst habe er "Der Glöckner von Notre Dame" beendet, "ein wunderbares Buch". Und Filme? Mit seiner Frau, der Regisseurin Sherry Hormann, setze er sich daheim manchmal vor einen Großbildschirm. "Sie beschreibt mir dann, was sie sieht."

Ballhaus spricht mit klarer, warm getönter Stimme. Jeder Buchstabe kommt zu seinem Recht, kein Vokal wird verschluckt, und beim Reden liegen die schönen Hände flach vor ihm auf dem Tisch. Seine Eltern kamen vom Theater, sein Onkel Carl Ballhaus war der Mann, der Peter Lorre in "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" (1931) das "M" auf den Mantel zeichnete. Sein Vater nahm ihn 1955 mit zu den Dreharbeiten von Max Ophüls' "Lola Montez", und da war es um ihn geschehen: Er wollte zum Film.

Kein Freund von Fassbinder

Ballhaus arbeitete in den 70er Jahren mit Rainer Werner Fassbinder, den er in seiner Autobiografie "Bilder im Kopf" als "schwer gestört" bezeichnet, "unfähig zu einer normalen menschlichen Beziehung". Dennoch drehte er 16 Filme mit ihm, denn das sei Fassbinder eben auch gewesen: ein Genie. Sie haben 1974 "Martha" produziert, wo man erstmals Ballhaus' Markenzeichen sieht: Die bewegte, fliegende Kamera, die Karlheinz Böhm und Margit Carstensen in einer berühmten Kreisfahrt geradezu umzingelt. Es sei die Pflicht des Kameramanns, das Gesicht, die Bewegungen und den Körper des Schauspielers zu verstehen, sagt Ballhaus. Wie fabelhaft ihm das gelungen ist, zeigen zwei Szenen, die er ins Weltgedächtnis des Kinos eingeschrieben hat: In "Die Farbe des Geldes" (1986) wird die Kamera zur Billardkugel und rollt auf Paul Newman zu. Und schier endlos scheint die atemberaubende Fahrt durch Eingang, Küche und Restaurant des Nachtclubs "Copacabana" in "Goodfellas" (1990). Ballhaus bringt ins Bild, was schließlich in den Dialogen scharfe Konturen erhält. Es gehe um Dynamik, sagt er, sonst sei das nicht Kino, sondern "Foto-Vortrag".

Autonomie und weite Gestaltungsspielräume

Über eine deutsche Produktion, die in den USA gedreht wurde, kam Ballhaus Anfang der 80er Jahre in Kontakt mit Martin Scorsese. Der machte den fast 50 Jahre alten Deutschen zum "Director Of Photography". Er gewährte ihm ein hohes Maß an Autonomie und weite Gestaltungsspielräume. Man kann Ballhaus' Stil denn auch als "selbstbewusste Kamera" bezeichnen.

In der Suite über dem Potsdamer Platz sitzt ein Gentleman, sanft und bescheiden, und es ist kaum vorstellbar, dass er auch im Haifischbecken Hollywood so zurückhaltend aufgetreten ist. "Doch, doch", versichert er indes, "ich bin nie aus der Haut gefahren." Leonardo DiCaprio und Daniel Day-Lewis seien seine Lieblingsschauspieler, weil sie so präzise arbeiteten. Ballhaus kann herrlichen Klatsch erzählen. Harrison Ford habe immer Angst gehabt, dass seine Nase auf der Leinwand zu groß wirke. John Travolta könne sich keinen Text merken, der länger als zwei Zeilen ist. Und Gary Oldman habe am Set von "Dracula" bereits morgens in der Maske eine Flasche Wein getrunken, weil er sich kurz zuvor von Uma Thurman getrennt habe. Oldman fing wohl alsbald eine Affäre mit Co-Star Winona Ryder an, sei dann aber ausgerastet, als er erfuhr, dass ihre Gage höher war als seine.

Drei Mal für den Oscar nominiert

"Zeit der Unschuld" ist ihm der liebste Film, sagt er, der beste sei sicher "Goodfellas" und sein meistgesehenes Werk der Videoclip zu "Papa Don't Preach" von Madonna. Er war dreimal für den Oscar nominiert. 2006 beendete Ballhaus seine Hollywood-Karriere mit Scorseses "Departed". Ob Scorsese ihn manchmal in Zehlendorf anrufe? "Ja", sagt Ballhaus. Er und seine Cutterin suchten gelegentlich Rat.

Ballhaus wirkt müde. Die dunklen Augen liegen tief in den Höhlen. Morgen wird er bei der Berlinale den Ehrenbären für sein Lebenswerk entgegennehmen. Danach zieht er sich zurück, er möchte nicht mehr auftreten. Eine letzte Frage sei noch erlaubt: Weiß die Kamera mehr als das Auge? Ballhaus denkt lange nach. Dann lächelt er und sagt: "Nein."

(hols)
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