Sadomaso-Trilogie feiert auf Berlinale Premiere Der wahre Reiz von "Shades of Grey"

Berlin · Heute kommt der Film zur Sadomaso-Trilogie "Shades of Grey" in die Kinos. Die Geschichte hat so viele Fans, weil sie eigentlich das alte Märchen vom Heimführen der Prinzessin erzählt. Und mit eindeutigen Rollenbildern arbeitet.

Szenen aus dem "Fifty Shades of Grey 1"-Film
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Szenen aus dem "Fifty Shades of Grey"-Film

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Foto: ap

Natürlich muss man diese Geschichte ernst nehmen. Schließlich hat die "Shades of Grey"-Trilogie weltweit 100 Millionen Leser gefunden, in Deutschland allein kauften 5,7 Millionen Menschen die erotischen Bücher, die von der unscheinbaren Literaturstudentin Anastasia Steele erzählen, die den hypermaskulinen Milliardär Christian Grey kennenlernt — einen Traummann mit nur einer Einschränkung: Sexuelle Beziehungen haben bei ihm mit Schmerzen zu tun, und Anastasia soll sich ihm unterwerfen.

Mit der ungewöhnlichen Verquickung von Sadomaso-Porno und Aschenputtel-Romanze scheinen die Romane verborgene Fantasien zu beflügeln, schlummernde Träume zu wecken, Bedürfnisse zu formulieren, die bisher unausgesprochen geblieben sind. Darum lohnt es, die eigentlichen Inhalte dieser Trilogie zu betrachten, die es schnell vom Groschenroman zum popkulturellen Phänomen gebracht hat. Denn so etwas hat meist tiefere Gründe.

"Fifty Shades of Grey": So lief die Berlinale-Premiere
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So lief die Premiere von "Fifty Shades of Grey" in Berlin

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Die Trilogie ist ein Märchen im obszönen Gewand, das zunächst als "Mami-Porno" abgetan wurde. Es ist aber bemerkenswert, dass Frauen die Geschichte anscheinend aus Neugier konsumieren. Jedenfalls werden darin im holprigen Stil, der etwas Naives, Unschuldiges hat, Sexualpraktiken beschrieben, die zu den letzten Tabus in der sexuell befreiten Gesellschaft zählen. "Shades of Grey" funktioniert also ähnlich wie Frauenzeitschriften im Biedermeier, nur haben sich die Tabugrenzen verschoben. In Zeiten, in denen sich viele Menschen in Folge allgemeiner Reizüberflutung dumpf und müde fühlen, verheißen die Bücher außerdem Anleitung für neue Formen von Gewagtheit und Kitzel. Und so wurde bald auch kolportiert, dass seit Erscheinen der Bücher der Verkauf von entsprechendem Sexspielzeug deutlich angestiegen sei.

Der Traum vom sozialen Aufstieg

Doch Neugier allein kann den Erfolg nicht erklären. Die Geschichte sei keine sexuelle, sondern eine kulturelle Fantasie, schreibt die Soziologin Eva Illous. Für diese Diagnose spricht, dass die Geschichte in engem Austausch mit dem Publikum entstanden ist. Die Britin Erika Leonard, die unter dem Pseudonym E. L. James schreibt, hat sie zunächst versuchsweise im Internet veröffentlicht. Im Dialog mit ihren Lesern hat sie die Handlung fortgesponnen, hat die Romane nach den Bedürfnissen eines großen Publikums geformt. Die Autorin hat also eine Resonanzkammer geöffnet und den Hall aufgezeichnet - natürlich muss das Soziologen interessieren.

"Shades of Grey" spiegelt unsere Zeit, weil die Geschichte den Traum vom sozialen Aufstieg wahr werden lässt: Ein verkanntes Mädchen wird von einem reichen Prinzen in die "Upper Class" befördert. Dieses Motiv hat schon bei "Pretty Woman" bestens funktioniert, wenn in dieser Geschichte auch die Frau die moralisch Verdächtige ist.

Es ist aber nicht nur der Traum vom Reichtum, der da bedient wird, sondern auch der, aus der Durchschnittlichkeit erlöst zu werden. Liebe ist längst ein unerbittlicher, im Internet rationalisierter Markt geworden. Menschen müssen sich präsentieren, sich gut verkaufen, um nicht übrig zu bleiben. Nichts ist schlimmer im Konkurrenzkampf mittels Suchmaschine, als verwechselbar, als unauffällig zu sein.

Anastasia Steele ist das zu Beginn der "Shades"-Trilogie, ausführlich wird sie als graue Maus eingeführt. Durch ihre spezielle Verbindung mit dem dunklen Mr. Grey aber wird sie auf wundersame Weise einzigartig. Ständig betont ihr gesellschaftlich hochanerkannter Liebhaber, wie besonders sie für ihn doch sei. Anastasia muss sich um ihre Attraktivität also keine Sorgen mehr machen. Das ist für viele heute ein Traum.

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Es wird von klaren Verhältnissen erzählt

Außerdem sind die Rollen in der Beziehung der beiden Hauptfiguren eindeutig. Zwar lässt sich ein naives Mädchen auf Praktiken ein, die ihr Schmerz zufügen und sie erniedrigen, aber das geschieht durchaus kontrolliert, zeitlich begrenzt und nach ihrem Willen. In der emanzipierten Realität dagegen sind Beziehungen kompliziert geworden, müssen Rollen dauernd neu definiert und miteinander ausgehandelt werden. Wie weit reichen die Freiheit und das berechtigte Autonomiebedürfnis des Partners, wo sollte die eigene Selbstverwirklichung beginnen?

Diese Fragen sind der Preis für die Freiheit moderner Lebensgestaltung. Doch anscheinend empfinden viele Menschen die Komplexität moderner Paarbeziehungen als Last. Und davon befreit "Shades of Grey". Denn eingeschrieben in eine Sadomaso-Geschichte wird von klaren Verhältnissen erzählt, von Sicherheit in sozial so unsicheren Zeiten. Auch das ist attraktiv.

Zwangsläufig eine konventionelle Romanze

Und dann erzählt die Trilogie am Ende doch verkappt eine erstaunlich konventionelle Liebesgeschichte. Schließlich verwandelt sich der potente, reiche, mächtige Mr. Grey im Laufe der Zeit vom Sadisten zum romantischen Geliebten, er geht sogar die Ehe ein. Ein maskuliner Typ gibt also die Unverbindlichkeit auf, die Kerle wie ihn sonst auszeichnet. Er stellt alle Unabhängigkeitsspielchen ein. Ihr zuliebe. Am Ende geht es in dieser sensationsheischenden Geschichte also gar nicht um Vergnügungssex, sondern doch wieder um die "wahre Liebe" und den Prinzen, der seine Prinzessin aufs Schloss holt.

Darum wird auch die Verfilmung "Fifty Shades of Grey" funktionieren. Die unerschrockene britische Regisseurin Sam Taylor-Wood hat aus der stilistisch dürftigen Vorlage eine märchenhafte Romanze mit höherem Sexanteil gedreht. Sie hat sich von den Fans nicht verrückt machen lassen, die monatelang im Netz über die Besetzung gestritten haben. Taylor-Wood hat ihren Film gedreht. Immerhin. Doch auch ihre Adaption bleibt zwangsläufig eine konventionelle Romanze, die nur verrucht tut. Dem Erfolg an der Kasse wird das nicht schaden. Weltweit sind drei Millionen Tickets vorbestellt.

(RP)
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