"Brooklyn" mit Saoirse Ronan Die neue Grace Kelly

Düsseldorf · "Brooklyn" ist ein erfrischend altmodischer Film über eine irische Einwanderin. Saoirse Ronan sollte dafür den Oscar bekommen.

Manchmal gibt es das, dass man aus dem Kino kommt, aber noch nicht nach Hause will. Man möchte viel lieber jemanden auf einen Drink einladen und mit ihm über den Film reden. Und wenn man bloß jemanden findet, der gar nicht im gleichen Kino gesessen hat, möchte man ihm von diesem Film vorschwärmen und von seiner Hauptdarstellerin, von "Brooklyn" nämlich und von der tollen Saoirse Ronan.

Das ist ein altmodischer Film, im besten Sinn altmodisch und erfrischend altmodisch. Er entwickelt sich ganz allmählich, aber man darf nicht den Fehler machen, ihn zu unterschätzen: Es passiert nicht viel, dafür Existenzielles. "Brooklyn" erzählt von Ellis, einer jungen Frau, die in den 50er Jahren in Irland aufwächst. Der Vater ist tot, Mutter und Schwester sorgen für die Familie, doch irgendwann fällt der Satz: "Ich kann dir Kleider kaufen, aber keine Zukunft." Es gibt keine Jobs und keine Perspektive in Enniscorthy an der südirischen Küste, also bricht Ellis nach New York auf, alleine und mit kleinem Gepäck.

Der Film basiert auf dem Roman von Colm Tóibín, und dessen Kunst besteht darin, mit viel Zärtlichkeit und großem Stilwillen Lebensumstände, Milieus und Atmosphären zu beschreiben. Nie jedoch psychologisiert er, niemals, und gerade das macht seine diskreten Bücher und vor allem dieses so intensiv: Man projiziert all das, was man in ähnlichen Situationen selbst gefühlt und empfunden hat, auf die Figuren. Man gibt etwas von sich in dieses Werk, man beteiligt sich also daran.

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Ellis wird nun gespielt von Saoirse Ronan, und obwohl man sagen muss, dass die Castingabteilung für diesen Film bei jeder einzelnen Besetzung glänzende Arbeit geleistet hat, ist Ronans Engagement die reine Wonne. Jede Gefühlsregung kann man in ihren Augen und ihrem Gesicht ablesen; als seismisches Schauspiel muss man bezeichnen, was die 21-Jährige vorführt, die mancher aus "Abbitte" oder "Grand Budapest Hotel" kennen dürfte. Sie wird zum Stellvertreter des Zuschauers, und sie macht, dass man geradezu körperlich spürt, wie das ist, seekrank zu werden. Es ist ebenso schmerzhaft, sie an Heimweh leiden zu sehen, und als sie eine Anstellung im Warenhaus findet und die Chefin mahnt, Ellis möge alle Kundinnen wie Freundinnen behandeln, möchte man der Frau zurufen, dass Ellis das ja gar nicht kann, weil sie doch keine Freundinnen hat. Man sorgt sich um Ellis, und deshalb ist es so erleichternd zu erleben, wie aus Heimweh Aufgeregtheit wird und Lebenshunger und wie sie im ersten New Yorker Sommer im knallgelben Kleid auf die Straße tritt. Ein Hauch von altem Hollywood, von Grace Kelly, aber beseelter, mitreißender.

Der Film lässt sich Zeit für die Exposition, und Regisseur John Crowley ist verliebt in jedes Detail der Ausstattung, in die Farben der Schauplätze, die Nähte der Kostüme und vielleicht auch in seine Hauptdarstellerin, die er auffallend oft in Großaufnahme zeigt. Nick Hornby hat die literarische Vorlage sehr klug für die Leinwand adaptiert, und besonders gelungen sind die Gespräche am Mittagstisch der Dame, bei der Ellis ein Zimmer mietet, sowie die Passagen im Gemeindezentrum, wo Ellis unter der Obhut von Father Flood (Jim Broadbent) Kontakt findet. Es gibt eine rührende Weihnachtsszene dort mit viel Zeitlupe, und man sollte sie künftig als Video-Clip für den Pogues-Song "Fairytale Of New York" benutzen. Und es gibt die erste Begegnung mit Jim (Emory Cohen), dem Sohn italienischer Einwanderer. Er steht da, schüchtern und befangen, aber er kann so unwiderstehlich gucken, und er hat ein gutes Herz, und das schüttet er vor Ellis aus. Ehrlich, man kann sich an keine fiktionale Figur erinnern, der man so sehr eine Hochzeit gewünscht hätte wie Ellis.

Aber wie es nun mal geht, wenn alles gut läuft: Es kommt ein Schicksalsschlag. Ellis muss heim nach Irland. Es fließen Tränen auf einer Beerdigung, und eigentlich wollte Ellis bald wieder zurück nach New York, aber ein junger Kerl verliebt sich in sie, und das nahe Glück fühlt sich immer besser an als das ferne Glück - jedenfalls, wenn man in der Nähe ist. Komisch, zuhause scheint plötzlich alles so zu sein, wie es nie geworden wäre, wenn sie das Zuhause nicht verlassen hätte. Was tun, bleiben oder gehen? So oder so, sie muss jemandem das Herz brechen.

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Foto: dpa/Chris Pizzello

Das ist ein Film von hoher emotionaler Intelligenz, ein empathischer Film über eine Frau, die fremd ist an zwei Orten. Und wenn die Juroren der Academy ein Herz haben, geben sie Saoirse Ronan den Oscar.

Brooklyn, Irland, Großbritannien, Kanada 2015 - Regie: John Crowley - mit Saoirse Ronan, Emory Cohen, Domhnall Gleeson, Jim Broadbent 112 Min.

Sehen Sie hier den Trailer zu "Brooklyn".

(hols)
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