Churchill von einer anderen Seite

Die neue Film-Biografie demontiert das Denkmal des Kriegshelden.

Ein korpulenter Mann mit Hut und Mantel stapft durch das Wattland an der britischen Küste. Eine Welle spült Wasser vor seine Füße. Es ist blutrot. Churchill taumelt, kippt beinahe vornüber, sein Hut fällt herunter, wird fortgespült.

Der australische Regisseur Jonathan Teplitzky zeigt den britischen Kriegspremier in seinem Film "Churchill" von einer ungewohnten Seite: Ein verletzlicher und jähzorniger Mann sucht seinen Platz während der dramatischen Ereignisse zu Ende des Zweiten Weltkriegs. Er ist dabei mindestens genauso auf seine Rolle in den Geschichtsbüchern fixiert wie auf den Sieg gegen Nazi-Deutschland.

Wenige Tage vor der Landung der Alliierten in der Normandie will Churchill (Brian Cox) die Invasionspläne kurzfristig umstoßen. Er fürchtet ein Blutbad wie in den Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs. Doch er muss nach und nach feststellen, dass seine Fähigkeiten als Militärstratege nicht gefragt sind. Die Entscheidungen werden von US-General Dwight D. Eisenhower (John Slattery) und dem britischen General Bernard Montgomery (Julian Wadham) getroffen.

Churchill ist gekränkt, fühlt sich zum Zusehen verdammt. Er verrennt sich in Plänen, zusammen mit König George VI. auf einem Kriegsschiff an der Operation teilzunehmen, doch der König winkt ab. Der einzige Mensch, der sich traut, Churchill die ungeschminkte Wahrheit zu sagen, ist seine Frau Clementine (Miranda Richardson). "Versuch wie ein Held zu handeln, Winston, dann glauben sie vielleicht, dass du einer bist."

Doch die Wahrheit kann Churchill schlecht verdauen. Er reagiert jähzornig, flüchtet sich in Alkohol, schreit seine Mitarbeiter an. Erst die enttäuschte Reaktion einer jungen Sekretärin holt Churchill aus seinem Wahn. Er entscheidet sich zu einer flammenden Rede an die Nation und entdeckt darin seine wahre Stärke wieder. Brian Cox brilliert mit ausdrucksstarker Mimik als verletzlicher Churchill, der sich nur widerwillig eingestehen kann, wie eingeschränkt sein Einfluss ist. Miranda Richardson überzeugt als Clementine, die mit sich ringt, ob sie den Ehemann verlassen soll.

Die Drehbuchautorin Alex von Tunzelmann demontiert den Mythos des unbeugsamen Kriegshelden Churchill so gründlich, dass man sich zeitweise nicht mehr daran erinnert, was ihn begründet hat. Das ist die Schwäche des Films. Er setzt voraus, dass sich die Zuschauer der Rolle Churchills etwa während der deutschen Bombardierungen auf Großbritannien oder seines diplomatischen Geschicks beim Schmieden der Allianz gegen die Achsenmächte bewusst sind. So erscheint Churchill über weite Strecken des Films als nutzloser alter Dickkopf, der den eigentlichen Kriegshelden im Wege steht.

Churchill, Großbritannien 2017 - Regie: Jonathan Teplitzky, mit Brian Cox, Miranda Richardson, Ella Purnell, 98 Min.

(dpa)
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