Romanverfilmung startet Donnerstag in den Kinos "Cloud Atlas" — der kühnste Film des Jahres

Düsseldorf · Tom Tykwer und die Wachowski-Geschwister haben das scheinbar Unmögliche gewagt: Ihre Verfilmung des raffinierten Romankunstwerks "Cloud Atlas" kommt in am Donnerstag in die deutschen Kinos.

"Cloud Atlas" überzeugt mit imposanten Bildern
11 Bilder

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Dieses Buch kann man nicht verfilmen, dachte man. Aber drei Regisseure haben sich zusammengetan und es tatsächlich geschafft. Das Ergebnis ist überwältigend, zumindest optisch. "Der Wolkenatlas" heißt der Weltbestseller von David Mitchell aus dem Jahr 2004, den sich der Deutsche Tom Tykwer und das amerikanische Geschwisterpaar Lana und Andy Wachowski (bekannt durch die "Matrix"-Trilogie) vorgenommen haben.

Das Buch ist so unterhaltsam wie klug, man versinkt geradezu darin. Außerdem ist es genial komponiert. Doch wer es gelesen hat, mag sich bald fragen, warum es zwar für Kribbeln im Kopf sorgt, warum es den Geist erfrischt, das Herz aber nicht wärmen kann. Der Film "Cloud Atlas" hat nun trotz enormer Schauwerte ein ähnliches Problem.

Im "Wolkenatlas" — im Buch wie im Film — werden sechs Geschichten erzählt. Es beginnt mit einem kalifornischen Rechtsanwalt, der 1850 eine Südseereise unternimmt und beklommen zusehen muss, wie Kolonialherren die Ureinwohner schikanieren. Es geht also um Humanismus, um den Einzelnen im Kampf gegen die Macht.

Davon erzählen auch die anderen Episoden; jene über den genialen Jung-Komponisten etwa, der von einem berühmteren Kollegen erpresst wird. Es gibt die Journalistin, die Schweinereien eines Industriekonzerns aufdeckt, und das Klon-Mädchen, das in der künftigen Welt gegen seine Unterdrücker aufsteht.

Ein Film wie ein Mosaik

Mitchell stellt die Erzählstücke in Reihe, er beginnt im 19. Jahrhundert und kommt schließlich im Jahr 2346 an. In jeder Abteilung legt er Fährten, die in der nächsten aufgenommen werden: ein Buch, das dort geschrieben und hier gelesen wird, ein Unfall der einst passierte und nun Folgen hat. Vom Scheitelpunkt des Romans aus führt er den Leser zurück durch die Jahrhunderte, am Ende ist es wieder 1850.

Für jeden Erzählstrang verwendet Mitchell einen anderen Stil: Reisebericht folgt auf Thriller, Science-Fiction auf Tagebuch. In einigen Episoden sprechen die Figuren gar eine neue Sprache — man ahnt nach Lektüre des Romans, dass Überlebende der Apokalypse auch grammatikalisch bei Null werden anfangen müssen. Mitchell lässt sie so reden: "Die furchtbarn Erinnerungs bohrn mir n Loch in Bauch."

Monströse Kunst in 172 Minuten

Tykwer und die Wachowskis sortieren die Vorlage für die Leinwand neu. Das Buch funktioniert wie eine Matrjoschka-Puppe, der Film hingegen wie ein Mosaik: Das Panorama wird allmählich zusammengesetzt und aufgefächert, und zwar so gekonnt, dass man staunt, wie elegant etwas derartig Komplexes wirken kann. "Cloud Atlas" ist 172 Minuten Überwältigung, das ist selbstbewusste und dabei durchaus monströse Kunst.

Die Regisseure haben einiges gewagt, kein Studio wollte das Projekt unterstützen. Also liehen sie sich bei 170 verschiedenen Geldgebern das Kapital, produzierten in Potsdam-Babelsberg, drehten auch vor dem Dreischeibenhaus in Düsseldorf und kamen schließlich mit 100 Millionen Dollar aus. Wer die atemraubende Architektur der Zukunftsstädte im Film sieht und bedenkt, dass neben Tom Hanks und Halle Berry, die gleich mehrere Rollen übernehmen, auch Susan Sarandon und Hugh Grant mitmachen, dürfte die Summe als vergleichsweise gering empfinden. Tatsächlich arbeiteten die Stars für ein Bruchteil ihres üblichen Honorars.

Stickbildartigen Sinnsprüche statt versteckter Weisheiten

Tykwer und die Wachowski-Geschwister hatten offensichtlich Spaß am intellektuellen Zierrat des Buches. Mitchell flirtet ja heftig mit den Postmodernen, mit Italo Calvino und Thomas Pynchon, und er hat das Talent, den Bogen von "Moby Dick" zu den "Enden der Parabel" schlagen zu können. Dabei scheint ihm das Ornament wichtiger zu sein als der philosophische Kern und seine Dringlichkeit.

Man begreift rasch, dass Mitchell Menschen beschreibt, die nicht länger sein wollen, wie sie sein sollen. Aber die Weisheit glüht nicht zwischen den Zeilen, sie wird vielmehr in stickbildartigen Sinnsprüchen vorgeführt: "Es gibt so viele Wahrheiten wie Menschen." Oder: "Was aber ist ein Ozean anderes als eine Vielzahl von Tropfen?" Im Film müssen die Schauspieler dann immergrüne Sätze unbestimmten Gehalts aufsagen: "Überleben erfordert Furchtlosigkeit."

Ein kulinarisches Filmvergnügen

Im Interview mit der "FAZ" geißelten die Macher "die Taliban des Anti-Intellektualismus", die im Populären keinen Gedanken sehen möchten. Aber das ist nicht der Punkt. Die visuellen Ideen der Filmakademiker machen den Kinobesuch zum kulinarischen Vergnügen. Was hingegen fehlt, damit die Produktion über den Abspann hinaus wirken könnte, ist die Erschütterung, die Anbindung an ein Ziel oder — ganz altmodisch: eine Botschaft, die zu Herzen geht.

Mitchell wusste um das Manko, er behalf sich mit Ironie, dem Augenzwinkern der Desillusionierten. So lässt er den Komponisten, der soeben ein Stück mit dem Titel "Wolkenatlas" geschaffen hat, die Frage stellen, ob dieses Werk nun revolutionär oder effekthascherisch sei. Der Leser darf selbst urteilen.

Der Film hingegen meint es ernst, er ist kälter als die Vorlage. Genau genommen braucht er den Zuschauer nicht. Er ist sich selbst genug.

(RP/jre/jco)
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