"Deutschland. Dein Selbstporträt" So bunt ist Deutschland

Sönke Wortmann hat Filmschnipsel tausender Menschen collagiert.

Deutschland. Dein Selbstporträt von Sönke Wortmann neu im Kino
Foto: Warner Bros.

Am Anfang sehen wir ein Bügelbrett in einer schmucklosen Wohnung. Tristesse pur. Eine Frau erzählt aus dem Off, dass sie verlassen wurde und sich sehr einsam fühle. Der 20. Juni 2015 sei für sie kein glücklicher Tag.

Melancholisch beginnt "Deutschland. Dein Selbstporträt", und man spürt sofort das Bemühen von "Sommermärchen"-Regisseur Sönke Wortmann, bloß nicht mit Hurra-Stimmung und zuviel Euphorie in den Film einzusteigen. Wie die Deutschen ticken, wollten tausende Menschen am 20. Juni des vergangenen Jahres in kleinen Videoclips und Handy-Filmchen festhalten, die Wortmann als Grundlage für seinen abendfüllenden Porträtfilm dienten. Entstanden ist eine durchaus kurzweilige, mitunter anregende Collage deutscher Befindlichkeiten, die an das von Ridley Scott produzierte Real-Life-Format "Life in a Day" von 2011 anknüpft.

Wie kann man von einem verregneten Sommertag im Juni erzählen, ohne lediglich eine willkürliche Ansammlung von Clips zu präsentieren? Bereits im Vorfeld hat das Filmteam ein paar Leute aufgespürt, die etwas ausführlicher von ihrem Alltag, ihren Hoffnungen und Sehnsüchten berichten. Wir lernen den Justizvollzugsbeamten kennen, der im Rollstuhl sitzt und dennoch glücklich ist, dass er seinen Job ausüben kann. Oder den etwas schrulligen Flug-Enthusiasten, der in einer Mini-Maschine über die Brandenburger Seen fliegt und dabei seinen inneren Frieden findet. Oder die wackere Kämpferin für das Grundeinkommen, die mit Klampfe und selbstgedichteten Liedern vor einer Handvoll Leuten in der Fußgängerzone auftritt. Sehr lustig ist das knauserige Feinschmecker-Ehepaar, das auch Loriot erfunden haben könnte.

Daneben steht die Flut von Clips, in denen zumeist junge Leute sich mehr oder weniger gekonnt in Szene setzen. Freizeit und Sport stehen ganz oben auf der Agenda, die Arbeitswelt kommt in diesem Porträt eines Landes eher am Rande vor. Großraumbüros oder Behördenkorridore sucht man vergebens. Viele Menschen sind dankbar für die Sicherheit im Land und das Gesundheitssystem, erfährt man, Politik interessiert eher am Rande. Schon verwunderlich, dass Werte wie Demokratie oder die freiheitliche Grundordnung im Wertekanon vieler kaum eine Rolle zu spielen scheinen. Dafür taucht der obligatorische Öko mit Komposttoilette auf, und einen Rechten gibt es auch.

Natürlich ist Wortmanns Porträt alles andere als repräsentativ. Bildungsbürger scheint es in Deutschland nicht mehr zu geben, was vielleicht aber auch daran liegt, dass Kulturmenschen eher selten Handy-Filmchen produzieren. Zum Ende hin erzählt ein Asylbewerber, der seit vielen Jahren hier lebt, aber immer von Abschiebung bedroht ist, von seinen Träumen.

Auch an Wortmanns "Sommermärchen" zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland wird noch einmal erinnert. Damals wurde das Land von einer Welle der Leichtigkeit und Unbekümmertheit erfasst - cooles Deutschland. In dem neuen Film spürt man nun aber auch, wie weit wir in Zeiten des Terrors von dieser Lebensfreude inzwischen entfernt sind.

Deutschland. Dein Selbstporträt, Deutschland 2016, Regie: Sönke Wortmann, 99 Min

(dpa)
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