Allzu rührselig: "Die Bücherdiebin"

"Downtown Abbey"-Regisseur Brian Percival inszeniert das Bücher-Abenteuer aus der Nazi-Zeit mit internationalen Stars.

"Die Bücherdiebin" von Brian Percival mit Markus Zusak
Foto: dpa, dbo

Es ist der Winter 1938, und allmählich bekommt der Tod viel zu tun in Deutschland. Er streift gerade auf Seelenernte durch einen Zug, als sein Blick an der neunjährigen Liesel hängen bleibt. Das wundert ihn, weil ihn die Lebenden nie interessieren. Was ihn an diesem stillen Mädchen so fasziniert, kann der Tod nicht sagen, als er Liesels kleinen Bruder mitnimmt. Aber er wird in den nächsten Jahren immer mal wieder nachsehen, wie es ihr so ergeht.

Gleich zu Beginn zeigt sich, dass der britische TV-Regisseur Brian Percival ("Downtown Abbey") sklavisch nah an Markus Zusaks Weltbestseller "Die Bücherdiebin" bleiben wird. Wie in der Romanvorlage erzählt der Tod die Geschichte, Ben Becker spricht seine Zeilen mit grandioser Wucht aus dem Off. So ist man sofort ganz nah bei Liesel, die da am Gleis neben dem Grab ihres Bruders steht. Auf der Erde sieht sie ein Buch liegen und stopft es hastig unter ihren Mantel. Es ist das "Handbuch der Totengräber". Die Analphabetin Liesel wird noch mehr Bücher klauen und so retten in einer Zeit, in der Bücher verbrannt werden.

Liesel, beeindruckend stark von der 13-jährigen Kanadierin Sophie Nélisse gespielt, kommt allein bei ihren neuen Pflegeeltern in der Münchener Himmelstraße an. Als deutsch-amerikanische Produktion leistet sich "Die Bücherdiebin" einen Besetzungscoup, der viel Hollywoodflair in den Film bringt. Oscar-Preisträger Geoffrey Rush verkörpert den sanften Hans Hubermann, einen Malermeister mit der Seele eines Künstlers, der Liesel von Anfang an liebt wie eine Tochter. Rosa Hubermann, dargestellt von Emily Watson, lässt sich nicht so leicht erobern. Eine barsche Frau, die selbst ihren besseren Gefühlen durch Schimpfen Ausdruck gibt. Dennoch hat Liesel es gut bei den Hubermanns. Hans bringt ihr mit Hilfe des Totengräber-Handbuchs das Lesen bei und entfacht in Liesel den Geist einer Dichterin. Der fröhliche Nachbarjunge Rudy (Nico Liersch) buhlt treuherzig um ihre Freundschaft. Und als Hans und Rosa den Juden Max (Ben Schnetzer) im Keller verstecken, wird Liesel zu ihrer verlässlichen Komplizin.

Zusaks Himmelstraße bildet einen eng begrenzten Raum, einen Mikrokosmos wie das Haus in Polanskis "Pianist" und der Führerbunker in Hirschbiegels "Untergang", in dem ein paar Schicksale das Leiden von Millionen widerspiegeln.

Während Polanski und Hirschbiegel das Kunststück gelang, die Welt da draußen stets als diffuse, aber reale Bedrohung im Bild zu halten, wirkt Percivals Setting jedoch künstlich und seltsam weltfremd. Und wo Zusaks Roman Liesels kindlichen Blick nutzt, um die Schrecken der Naziverbrechen noch zu steigern, inszeniert Percival selbst einen Todesmarsch der Juden mitten durchs Dorf noch so sauber und gepflegt, als hätte er Angst, das Grauen zu deutlich zu zeigen.

Dafür greift er tief in die Mottenkiste der NS-Requisiten. Die in stimmigen Gold- und Brauntönen gehaltenen Bilder von Kameramann Florian Ballhaus ändern nichts daran, dass die Bilder schier zusammenbrechen unter der Last von Hakenkreuzflaggen und SS-Uniformen. Nur im Keller der Hubermanns, wo Max und Liesel mit der Schönheit der Sprache die Angst wegreden, hat das Ausstattungstheater ein Ende.

Die bewegendsten Szenen des Films sind auch die besten des Romans: Wenn Max Liesel eine Ausgabe von "Mein Kampf" schenkt, jede Seite weiß überpinselt, so dass Liesel lesenswertere Gedanken hinein schreiben kann. Die Bombennacht, in der Liesel die im Bunker zusammengepferchten Nachbarn mit ihrer Poesie bei Verstand hält. Und jener glorreiche Moment, in dem die ruppige Rosa Liesel ihr schlimmstes Geheimnis offenbart. Trotz Percivals Hang zum Edelkitsch machen die Leistungen der Darsteller "Die Bücherdiebin" sehenswert. Ein subtil gespieltes Familiendrama mitten in einem Krieg, der so furchtbar war, dass selbst der Tod daran verzweifelte.

(RP)
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