Regisseur Eric Rohmer Diese Filme schwärmen vom Sommer

Eric Rohmer brachte wie kein anderer Regisseur Sommerfrische und Liebelei ins Bild. Eine Hommage an den großen Franzosen.

Eric Rohmers Filme schwärmen von Sommer
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Eric Rohmers Filme schwärmen von Sommer

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Foto: Radowski

Es ist immer Sommer in diesen Filmen, die Menschen tragen geringelte T-Shirts auf der bronzefarbenen Haut und Espadrilles an den nackten Füßen, sie schauen aus Liegestühlen aufs Meer oder sitzen mit Freunden an langen Tafeln vor hohen Hortensiensträuchern und essen, und dabei reden sie und reden und reden. Sie reden über das Leben und die Liebe, und sie reden so, wie man nur redet, wenn man sich befreit fühlt von Arbeit und Zwang, wenn man fortgerissen wurde aus den alltäglichen Zusammenhängen und das Herz auf der Zunge trägt, sie führen redend ein Leben in der Möglichkeitsform, und manchmal kommen sympathische Vorsätze dabei heraus wie der des jungen Kerls im Film "Die Sammlerin": "Ich möchte den Müßiggang in einer bis dahin nie erreichten Ausschließlichkeit betreiben."

Eric Rohmer hat diese Filme gedreht, der Franzose war der Regisseur der Sommerfrische und der großen Ferien, der ersten und der zufälligen Liebe. Seine schönsten Arbeiten sind Studien über die Menschen im Urlaub, und sie heißen "Sommer", "Pauline am Strand" "Liebe am Nachmittag", "Vollmondnächte" und "Das grüne Leuchten". Um den Sommer zu verstehen, den Sommer als Lebensform, muss man Rohmer schauen, Rohmer ist die beste Vorbereitung auf den Sommer, er verlängert den Strand in den Kinosaal, und da passt es gut, dass eine Auswahl seiner großartigsten Produktionen soeben in einer DVD-Box erschienen ist.

Rohmer starb 2010 mit 89 Jahren in Paris, er gehörte zur Nouvelle Vague, zu jenem Kreis cooler Jungs also, die in den 50er Jahren den Film erneuerten, indem sie Natürlichkeit zum Maß aller Dinge erklärten, von der Straße erzählten, aus Schlafzimmern berichteten, Wohnküchen und Wolkenkuckucksheimen. Seine Kumpels hießen Truffaut und Godard, und während der erste auf der Leinwand vor allem "schöne Dinge mit schönen Frauen machen" wollte und der andere sein intellektuelles Panzerarmband irgendwann nicht mehr ablegen mochte, widmete sich Rohmer unermüdlich und in wunderbar minimalistischen Filmen der Zwischenmenschlichkeit. Er wollte Filme machen, die wie Romane sind, er wollte zeigen, wie wir im Bus sitzen und warten, in der Hängematte liegen und grübeln. Er war der Balzac des Kinos, er wählte den "Königsweg der Einfachheit". Sex sieht man bei ihm selten, man hört davon lediglich in der Reflexion im Gespräch, denn bei Rohmer sind Charaktere nur lebendig, wenn sie reden. "Alle meine Filme sind Komödien. Wie das Leben auch", hat er gesagt. Niemand sonst war so gut darin, den Wind in den Bäumen zu filmen, die Luft, die Hitze und das Gefühl. Rohmer gelang es, dass man Atmosphäre sehen kann.

Er kam ohne Großaufnahmen und Filmmusik aus, Einstellungen können bei ihm sechs, sieben Minuten dauern, und in den 80er und 90er Jahren machte er fast jedes Jahr einen Film. Seine konsequenteste und beste Produktion, "Das grüne Leuchten", filmte er für etwas mehr als eine halbe Million Mark ohne Drehbuch mit der Handkamera, und in Venedig gaben sie ihm dafür 1986 den Goldenen Löwen. Derzeit kann man so etwas wie eine Schulenbildung beobachten, jüngere Kollegen berufen sich auf Rohmer. US-Regisseur Richard Linklater etwa sagt, dass seine "Before Sunrise"-Trilogie gar nicht denkbar gewesen wäre ohne Rohmer. Noah Baumbach versteht seinen Film "Frances Ha" als Hommage an Rohmer, er ließ seinen Sohn gar auf den Vornamen Rohmer taufen. Und in Modeblogs tauchen immer häufiger Szenenfotos aus Rohmer-Filmen auf: Die Garderobe der romantisch Verzagten als Must-have.

Dass er nun eine Renaissance feiert, ist kein Zufall, denn bei Rohmer geht es um das moderne Unglücklichsein, er zeigt die Heimatlosigkeit des Individuums im Meer der Möglichkeiten, er weiß: Freiheit ist schön, aber schwierig. In "Das grüne Leuchten" etwa steht die Sekretärin Delphine im Mittelpunkt, sie wollte mit einer Freundin in Urlaub fahren, doch die sagt zwei Wochen vor Reiseantritt ab. Nun reist Delphine alleine nach Biarritz, in die Berge und dann wieder an die See, aber nirgendwo ist die kapriziöse Frau glücklich, und wenn sie sich kurz in Paris aufhält, dann nur deshalb, weil man sich nirgendwo besser nach der Liebe sehnen kann als dort. Avancen fremder Männer weist sie zurück, jeden Flirtenden stößt sie vor den Kopf, und wenn sie lächelt, dann immerzu beinahe. Das unverbindliche Begehren ist nichts für sie, sie ist keine Liebesdrifterin, sie möchte mit einem Mann ein Paar sein und nicht bloß eine Kombination - wenn schon, dann bitte absolut. Und als sie dasitzt und herumjammert und die von so viel Selbstzweifel erschöpften Freunde längst an ihr vorbeihören, weiß man nicht, ob Delphine gerade die Wirklichkeit begräbt oder ihre Träume.

Aber das war eben das Schöne an Rohmer, dass er Empathie hatte, dass er Anteil nahm und an seinen eigenen Figuren das Unverbrüchliche schätzte. Seine Sympathie galt den Wartenden und Träumern, und am letzten Urlaubsort begegnet Delphine einem Jungen, der sich aufrichtig um sie bemüht. Das Ende wird märchenhaft, man beobachtet das Naturschauspiel des grünen Leuchtens; Rohmer wartete mehrere Jahre, um die seltene Lichtbrechung vor die Linse zu bekommen.

Rohmers Verdienst ist es, den Diskurs über die Liebe ins Kino gebracht zu haben. Sein Hausheiliger war Blaise Pascal, seine Helden lebten allesamt im 17. Jahrhundert, Racine etwa und Descartes. In Zeiten, da so viele in alle Richtungen flattern und sich verlieren, porträtiert er diejenigen, die am Rand des Lebens sitzen und zusehen und die Lösung darin finden, dass sie sich entscheiden, eine Wahl treffen und werden, wer sie sind. "Das ist mir noch nie gelungen: eine Liebe in mir zu entfachen und in einem anderen", sagt die junge Frau zu Beginn von "Pauline am Strand". Am Ende ist sie klüger: "Jedes Lebewesen lebt in der Unvollständigkeit, und nur die Liebe kann ihm helfen, sich zu entfalten."

Es ist die jugendfrische, schwerelose Eleganz dieser Produktionen, die einen süchtig machen kann, ihre durch Klugheit und Charme bestrickenden Helden. Es passiert ja meistens gar nicht viel in diesen herrlichen Filmen, sie verwehen einfach. Bei Amazon schreibt ein enttäuschter Kunde über "Meine Nacht bei Maud": "Ein Knaller von einem Titel. Aber weit gefehlt, es passiert gar nichts. Es wird nur diskutiert." Recht hat er. In "Pauline am Strand" öffnet sich am Anfang ein Gartentor, und am Ende wird es geschlossen, und in den 90 Minuten dazwischen haben sich zwei Menschen gefunden und wieder verloren, und zwei andere haben einander verloren und wiedergefunden. Der Sommer ist zu Ende, aber eines ist gewiss: Liebe ist der Glaube an etwas, das nur zwei bestimmte Menschen sehen können.

(hols)
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