Stoischer Rachefeldzug im Tiefschnee

In der schwarzen Komödie "Einer nach dem anderen" rächt ein rechtschaffener Schneepflug-Fahrer die Ermordung seines Sohnes, indem er Mafia-Angehörige umbringt. Dabei gerät er an Bruno Ganz, Patriarch einer Killersippe.

"Einer nach dem anderen" im Kino mit Bruno Ganz
Foto: dpa, ImY bsc

Der alte Nils ist Pfadfinder. Allerdings entdeckt er keine neuen Wege, sondern immer denselben: Im hohen Norden Norwegens zieht er mit seiner Fräse Schneisen durch den Schnee, um seine Heimat in Kontakt zu halten mit der Zivilisation. Dafür ist er zum Bürger des Jahres gewählt worden. Und wenn er nachts so durch die weiße Landschaft fährt und der Schneestaub neben seinem Gefährt einen feinen Vorhang bildet, flatternd wie eine Fahne, dann könnte man den einsamen Norden für eine Idylle halten.

Doch dann kommt der Tag, da Nils seine Frau im Büro schreien hört vor Entsetzen und Verzweiflung. Die beiden müssen auf die Polizeiwache, um ihren Sohn zu identifizieren. An einer Überdosis soll Ingvar gestorben sein. Doch dann taucht in Nils Werkstatt ein Freund seines Sohnes auf und gesteht, dass er den ahnungslosen Ingvar in Drogengeschäfte verwickelt hat. Und da hat Nils ein Ventil gefunden, um seinen Schmerz loszuwerden: Rache.

Stellan Skarsgård kann rechtschaffene, solide Männer spielen wie diesen Nils, ein wenig wortkarg, stoisch, aber im Grunde gutmütig. Wenn die Beharrlichkeit solcher Menschen allerdings umschlägt in Rachlust, dann ist auch die gründlich. Und so verrät der Titel dieser schwarzen Komödie "Einer nach dem anderen" schon den ganzen Inhalt des Films: Nils tötet die Männer, die seinen Sohn auf dem Gewissen haben, einen nach dem anderen. Allerdings gerät er dabei nicht nur selbst in Gefahr, er zettelt unwissentlich einen Krieg zwischen zwei konkurrierenden Mafia-Banden an, einem serbischen und einem norwegischen Clan, die sich gegenseitig verdächtigen, für die Mordserie verantwortlich zu sein.

Regisseur Hans Petter Moland erzählt also von der Brüchigkeit bürgerlichen Lebens, er stellt eine Geschichte, in der Tonnen von Schnee bewegt werden, auf sehr dünnes Eis. Denn Bürger Nils hat sein Leben lang als einfacher Arbeiter gut funktioniert, hat seinen Sohn groß gezogen, sitzt abends zufrieden mit seiner Frau am Abendbrottisch. Doch als er nach dem Verlust seines Kindes erleben muss, dass die Polizei nichts macht, setzt er alle Regeln der Moral, die er sein Leben lang befolgt hat, außer Kraft und mordet sich durch die Mafia-Hierarchie. Denn diesmal sollen nicht wie üblich nur die Kleinen gehängt werden, sondern auch die Großen für ihre Verbrechen bluten.

Das ist in seiner Drastik komisch inszeniert. Moland nutzt munter all die Gesten des Killer-Genres und lässt seine Figuren pathetische Sätze sagen wie: "Schmerz ist Schwäche, die den Körper verlässt." Aber er überzeichnet nicht nur, liefert keinen reinen Thriller-Klamauk, sondern lässt seiner Geschichte eine Note Ernsthaftigkeit und Trauer über den Menschen, den Habgier und Vergeltungssucht ins Verbrechen stürzen.

Diese zwischen Komik und Melancholie schwankende Stimmung ist wie gemacht für Bruno Ganz. Der spielt den kauzigen Patriarchen des serbischen Verbrecherklans und wirkt mit seiner Pelzmütze im Schnee wie etwas schief ins Leben gebaut. Auch er muss einen Sohn sterben sehen, und als der Sarg in jenes Flugzeug geladen wird, das sonst Drogen transportiert, kräht er "Auge um Auge, Sohn um Sohn". Und so wird er es auch halten. Aber in seiner Sturheit wird er einen Verbündeten finden, und er wird das Schießeisen noch aus der Hand legen. Da wird die Lakonie dieses Films ihren Höhepunkt erreichen.

Böse, blutige Geschichten, die in der gedämpften, tauben Atmosphäre verschneiter Landschaften spielen, sind inzwischen ein Genre für sich. So reizvoll ist der Gegensatz höchster Aggression, die im Mord, im wilden Geballer und achtlosen Verschachern von Leichen ihren Ausdruck findet, und den stillen Schneelandschaften, in denen aller Zorn erstarrt und einer tiefen Friedlichkeit gewichen ist. Die Cohen-Brüder haben mit "Fargo" das wohl reinste Beispiel für die Wirkung solcher Geschichten geliefert.

Moland erreicht nicht jenes bittere Gleichgewicht von Brutalität und Beschaulichkeit, das den Reiz von "Fargo" ausmacht. Er lässt auch die Polizei nur am Rande auftreten; die Ordnungsmacht ist kein Gegengewicht in dieser Geschichte. Aber sie setzt einem sturen Biedermann ein Denkmal, der nicht hinnimmt, dass sein Sohn durch einen bedauerlichen Irrtum starb.

Am Ende dieses Rachefeldzugs sickert viel Blut schuldiger Menschen in den Schnee. Und in der Ferne fräst ein Pflug seine Schneisen.

(RP)
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