"Every Thing Will Be Fine" im Kino Wim Wenders lehrt das Sehen in 3D

Düsseldorf · Im "Every Thing Will Be Fine", erzählt er von einem Schriftsteller, der ein Kind überfährt und lernt, mit der Schuld zu leben.

Every Thing Will Be Fine von Wim Wenders: Sensibel und einfühlsam
Foto: dpa, kde

So grausam ruhig ist im Kino selten von einem Unfall erzählt worden. Ein junger Schriftsteller hat sich in die lichte Einsamkeit einer verschneiten Landschaft zurückgezogen. Es geht ihm nicht so gut. Die Worte wollen nicht fließen, die Beziehung zu seiner Freundin steckt fest im Zustand der Vorwürfe, der falschen Erwartungen, der liebenden Qual. All das beschäftigt seine Gedanken, als er eine einsame Straße entlangfährt. Es dämmert. Und dann ist da dieser sanfte Hügel. Und ein Moment der Unaufmerksamkeit. Und dann sitzt plötzlich ein völlig verstörtes Kind auf dem Schlitten vor seiner Kühlerhaube. Sprachlos vom Schock. Wie erleichtert ist Thomas, dass dem Jungen ansonsten nichts passiert ist - bis er erfährt, dass zwei Kinder auf dem Schlitten gesessen haben.

Von diesem Moment an hat das Leben des Schriftstellers alle Leichtigkeit verloren. Die Frage nach der Schuld wird lange auf ihm lasten. Sie wird ihn zu einem ernsteren Schriftsteller machen und zu einem seltsam schweigsamen Menschen, der auf Distanz geht zum Leben, weil er um dessen Verletzlichkeit weiß. Bis die Zeit der Heilung gekommen ist.

Ein Familiendrama erzählt Wim Wenders also in seinem neuen Film "Every Thing Will Be Fine", eine Geschichte, die von Schuld und Selbstvorwürfen handelt, aber auch von Vergebung, von der heilenden Kraft des Einwilligens in das eigene Schicksal. Und von der Macht der Zeit.

Eine feinfühlige Geschichte, ein Psychodrama, im Grunde ein Kammerspiel. Also kein Film, den man in 3D drehen müsste. So könnte man meinen - Wenders beweist das Gegenteil. Denn 3D ist eben nicht nur eine actiongetriebene, technische Spielerei, die das Filmemachen aufwendiger und die Abenteuer reizvoller macht. Sie verändert auch das Sehen. Und das Empfinden im Kino. Der Zuschauer betrachtet keine Oberfläche mehr, er tritt in den Raum, kann dort selbst die Blicke schweifen lassen, kann sich entscheiden, bei welcher Figur, welchem Gegenstand er verweilt. So wird er auf neue Weise vereinnahmt. Das spürt er viel mehr, wenn in einer Geschichte nicht der Teufel los ist.

Das neue Sehen verändert auch das Erzählen. Regisseure dürfen nicht mehr linear denken, sondern müssen Sequenzen bauen, in denen sich Leben abspielen und beobachtet werden kann. Darum ist es gut, wenn sich die 3D Kamera schwerfällig verhält, wenn sie nicht allen Aktionen folgt, sondern Welten aufschließt, in denen Bewegung geschehen kann - bis tief in den Raum.

All das tut Wenders in diesem stillen Drama, er probiert die neuen Möglichkeiten nicht nur als Techniker, sondern auch als Erzähler aus. Und dafür braucht es eine stille, präzise, anrührende Geschichte, einen Film, der dem Zuschauer Zeit lässt, sich der Irritation durch die neuen Wahrnehmungsmöglichkeiten zu überlassen.

"Every Thing Will Be Fine" ist als Drama stark genug, um die Technik nicht vor die Erzählung treten zu lassen. Und zugleich so sensibel und einfühlsam erzählt, dass der Zuschauer aufmerksam die ersten Schritte hineintun kann in die räumlich erzählte Geschichte, in die statischen Szenen, durch die er sich selbst bewegen kann.

Wenders ist ein Pionier der 3D-Technik. Mit seiner Tanz-Dokumentation "Pina" ist es ihm gelungen, das Werk von Pina Bausch in das Medium des Films zu übertragen, weil er dem Zuschauer darin den Bühnenraum erschloss, der für das Tanztheater so bedeutsam ist. Auf einmal hatte eine Bühne im Film Tiefe.

Seine Erfahrungen etwa im Umgang mit dem Licht und der Kameraführung nutzt Wenders nun für den Spielfilm. Dabei gelingen ihm zauberische Momente, etwa wenn er einen Baum in den Farben des Herbstes erglühen lässt oder mit Spiegelungen in Fensterglas arbeitet oder Schnee so ins Bild bringt, dass er keine weiße Fläche ist, sondern ein tiefenscharfes Feld feinster Kristalle. In diese neuen Welten setzt er seine Schauspieler, vertraut ihnen die Geschichte an. Internationale Stars sind es diesmal: Charlotte Gainsbourg als trauernde Mutter, die eine wunderbare Güte entwickelt, Rachel McAdams als tief gekränkte Liebende. Und James Franco in der Hauptrolle, den man selten so nachdenklich und aufrichtig spielen sah. Sie alle werden nicht erdrückt von der neuen Technik, sie nutzen ihre Freiheit in der dritten Dimension. Und so entwickelt dieser Film Szenen und Bilder, durch die man noch lange spaziert, wenn man in den Raum zurückkehrt, den wir Wirklichkeit nennen.

(RP)
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