20 Jahre "Pulp Fiction" Früher war mehr Indie

Vor 20 Jahren feierte "Pulp Fiction" in den USA Premiere. Seitdem verschwimmen die Grenzen zwischen Independent und Mainstream – wie erst neulich der "Tatort" bewiesen hat. Macht aber nix.

Das sind die berühmtesten Fehler der Filmgeschichte
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Foto: Screenshot YouTube

Vor 20 Jahren feierte "Pulp Fiction" in den USA Premiere. Seitdem verschwimmen die Grenzen zwischen Independent und Mainstream — wie erst neulich der "Tatort" bewiesen hat. Macht aber nix.

"Pulp Fiction" hat viel bewirkt. Nicht nur für Quentin Tarantino, der mit dem Gangsterfilm vom Schmuddel- zum Wunderkind unter den Regisseuren erhoben wurde. Oder für seine entweder noch unbekannten oder schon längst abgeschrieben Darsteller wie John Travolta und Bruce WIllis, Samuel L. Jackson und Uma Thurman.

Sondern vor allem für das Medium Film insgesamt.

Seit der US-Premiere am 14. Oktober 1994 ist es möglich, Filme in nicht-chronologischer Reihenfolge zu erzählen. Und die Protagonisten unfassbar viel fluchen zu lassen, solange man nur ab und zu als Kontrapunkt einen hochgestochenen Ausdruck in ihre Dialoge einbaut. Und extreme Gewaltszenen zu zeigen, solange sie nur surreal genug inszeniert und mit beschwingter Musik unterlegt sind.

Mit dem Tukur-"Tatort" von vergangenem Sonntag, "Im Schmerz geboren", ist diese Ausweitung des Spielraums für Filmemacher sogar im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen angekommen. Mehr Mainstream, mehr Konsens geht nicht.

Seit "Pulp Fiction" trifft Film auf Realität

Für all das brauchte es genau diesen Film. Und nicht etwa dessen Vorgänger und Tarantinos Mehr-oder-weniger-Erstling "Reservoir Dogs". Darin sind viele seiner wiederkehrenden Motive angelegt, doch er ist zu düster, zu sadistisch, zu nihilistisch. Seine Gewaltexzesse sind zu realistisch. Ihm fehlt das Überzeichnete und, trotz Mafiaboss im Ballonseide-Trainingsanzug, auch der Humor — der so dringend benötigte comic relief, die befreiende Komik.

"Pulp Fiction" hat all das und mehr. In perfekter Balance, mit grandiosen Tempowechseln. Er ist der Prototyp aller Tarantino-Filme — extrem lang und genauso provokativ. Darüber, wie sehr er Drogen und Gewalt, Sexismus und Rassismus fetischisiert, lässt sich streiten.

Dass er all das nicht ausklammert, dass er den Film noir auf die bunte Realität loslässt und andersherum, ist jedoch unbestreitbar seine Leistung. Dass er weitgehend apolitisch und ashistorisch ist, trägt dabei zum Charme des Films bei. Und nicht nur der Autor und Regisseur Tarantino montiert Anspielungen und Zitate. Auch seine (Anti-)Helden eifern, ganz postmodern, Vorbildern aus der Popkultur nach — und labern statt zu reden, ballern statt zu schießen.

Sie gerieren sich liebend gern als Profis, erweisen sich aber als exzentrisch, emotional, irrational.

Sie streben nach niederen Motiven wie Ruhm und Rache, Geld und Coolness. Sie sind Karikaturen, aber Karikaturen echter Menschen.

Hinter all den Schichten von Ironie, Sarkasmus, Zynismus Werte zu entdecken, setzt Reife beim Publikum voraus — oder die Bereitschaft, sich einfach mal unterhalten zu lassen.

Mehr als Fundgruben für Zitate

Dass Tarantino längst ein ähnlicher Mainstream-Erfolgsgarant ist wie Steven Spielberg oder Michael Bay, kann man natürlich beklagen. Meist verbirgt sich dahinter aber bloß das Gejammer von frühen Fans und anderen selbsternannten Geschmackseliten.

Man muss Quentin Tarantino weiß Gott nicht mögen. Mit einigem Recht kann man den 51-Jährigen einen selbstverliebten, selbstreferentiellen und dabei kontrollwütigen Berufsjugendlichen nennen. In den Neunzigern hatte sich der Emporkömmling allzu sehr im neu gewonnenen Ruhm geräkelt, doch ein größerer filmischer Sündenfall blieb aus. Bis heute übt er sich in der Kunst der Beschränkung, hat nur zwei Handvoll Filme gemacht und nur ein paar mehr mitgeschrieben oder -produziert.

Die meisten davon sind sehr gut — schon, weil sie wichtige Debatten provozieren, auf der Metaebene über die Zulässigkeit von kalkulierten Tabubrüchen als Erfolgsgarant und auch ganz konkret, zuletzt etwa über Rassismus bei "Django Unchained". Tarantinos Filme sind mehr als Fundgruben für Zitate. Sie haben das Kino bereichert.

Dass früher mehr Indie war, muss man dafür in Kauf nehmen; so ist der Lauf der Welt.

Dieser Text ist zuerst in der Rheinische Post App erschienen.

(tojo)
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