"Ich und Kaminski" im Kino Goodbye, Kaminski

Düsseldorf · Daniel Brühl spielt die Hauptrolle in der Tragikomödie "Ich und Kaminski". Der neue Film von Wolfgang Becker ist nur halb gelungen. Er sorgt beim Zuschauer bis zum letzten Moment für Unsicherheit.

Dieser Film zerfällt auf derart augenfällige Weise in zwei Hälften, dass man sich in der letzten halben Stunde gar nicht mehr auf die Handlung konzentrieren kann, weil man sich unentwegt fragt, ob das überhaupt noch derselbe Film ist vom selben Regisseur. Erst der Abspann sorgt für Sicherheit: alles richtig, soll wohl so.

Wolfgang Becker hat das lustigste und gemeinste Buch von Daniel Kehlmann verfilmt, und "Ich und Kaminski" ist sein erster Film nach zwölf Jahren Abwesenheit. 2003 hatte der heute 61-Jährige einen mächtigen Erfolg mit "Goodbye, Lenin", den sechs Millionen Kinobesucher sahen. Natürlich wird der Regisseur oft gefragt, warum er so lange fort war, und er antwortet dann stets, dass er keine Drehbücher fand, die ihm gut genug erschienen. Und als er endlich eins hatte, das zu Kehlmanns Roman nämlich, wollte niemand den Film finanzieren.

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Das Geld kam dann doch noch zusammen, und in "Ich und Kaminski" geht es nun um Sebastian Zöllner, einen Journalisten, der über Kunst schreibt, aber die Kunst ebenso sehr verachtet wie den Journalismus. Er ist Anfang 30 und möchte sein Renommee seinem Selbstbewusstsein angleichen, es also massiv aufblasen. Das ideale Mittel könnte die Biografie Manuel Kaminskis sein, die will Zöllner schreiben: Kaminski wurde als "der blinde Maler" in den 60er Jahren schlagartig auf der ganzen Welt berühmt, weil Warhol ihn protegierte. Seither halten sich Gerüchte, dass der hoch gehandelte Kunst-Star gar nicht blind sei. Nun ist er ein Greis, mit seinem baldigen Ableben muss gerechnet werden, und wenn es so weit ist, will Zöllner im Buch zum Tod die Wahrheit präsentieren.

Der Anfang ist schlichtweg grandios. Nach dem Vorbild von Woody Allens "Zelig" wird Jesper Christensen, der den Kaminski spielt, in historisches Filmmaterial montiert: Kaminski mit seinem Lehrer Matisse, Kaminski mit Hitchcock, Picasso und den Beatles. Die Ouvertüre gibt Erzähltempo und -ton vor, und ebenso übermütig gestimmt poltert Daniel Brühl, der ja schon in "Goodbye, Lenin", die Hauptrolle spielte, in Kaminskis Chalet in den Schweizer Alpen: Der Biograf ist da.

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Es gibt herrliche Szenen in diesen frühen Minuten. Aus Gemälden werden laufende Bilder, aus Filmszenen Fotos, und Form und Inhalt scheinen trickreich und virtuos miteinander verbunden zu sein. Kaminski und Zöllner mögen einander nicht, sehen im jeweils anderen aber die Chance auf Ruhm, und deshalb führt der eine den anderen an der Nase herum, indem er ihn über seine Absichten im Unklaren lässt. Schließlich entführt Zöllner den gar nicht hinfälligen Kaminski in dessen Jaguar und versucht ihm Gemälde abzuluchsen. Es ist ein hochbeschleunigter und von pointierten Dialogen befeuerter Tanz der Eitelkeiten, den Becker da aufführt.

Umso unverständlicher, dass Becker irgendwann das Tempo herausnimmt und ihm jeder Formwille abhanden kommt. Der Film entwickelt sich zum allzu stationenreichen Roadmovie. Auf der Straße soll den gerade durch ihre Selbstgefälligkeit und Oberflächlichkeit definierten Figuren Charakter eingeimpft werden. Becker probt den Spagat zwischen beißender Satire und moralinsaurem Entwicklungsroman und verbiegt sich dabei.

Zöllner/Kaminski besuchen die Jugendfreundin Kaminskis, der der Maler lebenslang hinterhertrauerte. Da sitzt dann Geraldine Chaplin als fernsehende Holländerin verloren in einem Reihenhaus, und man beginnt sich zu fragen, ob der Regisseur heimlich ausgetauscht wurde und ob es überhaupt noch einen Regisseur gibt. Am Ende muss das Meer herhalten als notariell beglaubigter Ort der Seelenläuterung.

Dabei ist Zöllner deshalb so faszinierend, weil er sich in dem Roman aus dem Jahr 2003 in seiner Ekelpakethaftigkeit treu bleibt. In "F", dem aktuellen Roman Kehlmanns, taucht er wieder auf - unverändert. Er ist "zu jung für die Rente. Zu alt, um noch umzusatteln", heißt es da: "Unrasiert, kaum noch Haare auf dem Kopf und das Jackett so zerknittert, als hätte er darin geschlafen. In der mittelalterlichen Kunst entspricht das Aussehen der Menschen ihren Seelen: die Bösen hässlich, die Guten schön. Das 19. Jahrhundert hat uns beigebracht, das sei Unsinn. Aber mit ein bisschen Lebenserfahrung merkt man, es ist gar nicht so falsch." So viel Konsequenz hätte dem Film auch gutgetan.

(hols)
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