Irre Liebe vor düsterer Kulisse

Starkes Paar: Adèle Haenel und Lars Eidinger in "Die Blumen von gestern".

Zazie ist unberechenbar. Die junge Frau aus Frankreich soll in einem muffigen deutschen Archiv als Holocaust-Forscherin assistieren, doch weigert sie sich gleich am Flughafen, in einen deutschen Geländewagen zu steigen. In einem solchen Modell habe man ihre Großmutter vergast, lässt sie wissen und rauscht per Anhalter davon. Dabei hat es der junge Forscher, Totila Blumen, eh schon schwer genug. Spürt er die ganze Last der deutschen Vergangenheit doch auf den eigenen Schultern. So ist alle Leichtigkeit aus seinem Leben gewichen. Stattdessen: Ernst, Schwermut, Selbsthass. Doch die Praktikantin aus Paris kontert den Zynismus ihres neuen Chefs durch unerschrockene Direktheit und lebt die eigenen Stimmungsschwankungen ungefiltert aus. Zwei explosive Charaktere, extreme Gegensätze - natürlich geht es bald um Liebe.

Mit seinem neuen Film "Die Blumen von Gestern" wagt Chris Kraus eine ungewöhnliche Verquickung: An einem nicht gerade erotischen Ort, vor düsterem historischen Hintergrund zettelt er mit viel Dialogwitz eine exaltierte Liebesgeschichte an. Das ist riskant, spannungsreich - geht aber nur in Teilen auf.

Der Film hat großartige Momente, immer dann, wenn die beiden Hauptdarsteller sich aus der allzu konstruierten Geschichte befreien und wie irre aufeinander losgehen. Die Französin Adèle Haenel ist umwerfend als manische Zazie, die zwischen euphorischer Ausgelassenheit und tief depressiven Phasen schwankt. Sie verkörpert die Nachfahrin einer jüdischen Familie, und obwohl inzwischen so viele Jahre vergangen sind, kann sie natürlich keinen Schlussstrich ziehen, sondern wird eingeholt vom Leid, das ihrer Familie widerfuhr. Totila dagegen ist Spross einer Täterfamilie, sein Großvater war bei der SS, und so wird auch er mit der Vergangenheit nicht fertig, versucht, Schuldgefühle durch wissenschaftliche Akribie wettzumachen, und straft sich, indem er sich keinen Spaß im Leben gönnt. Lars Eidinger spielt das mit ehrlicher Besessenheit, trotzig, überheblich, selbstzerstörerisch. Wie diese beiden sich doch füreinander öffnen, Gefallen finden an der Störrigkeit des anderen, das ist beeindruckend anzusehen.

Doch zugleich wirkt alles unecht in diesem Film, tauchen vor allem in Totilas Leben holzschnittartige Nebenfiguren auf, die selbst eine Hannah Herzsprung nicht mehr zum Leben erwecken kann. Chris Kraus gehört zu den deutschen Regisseuren, die beharrlich ihren Ideen folgen. So hat er eindringliche Filme wie "Vier Minuten" und "Poll" geschaffen. Auch "Die Blumen von gestern" wirken lange nach, aber wegen der Darsteller, nicht wegen der Geschichte.

"Die Blumen von gestern", Deutschland, Regie: Chris Kraus, mit Adèle Haenel, Lars Eidinger, Hannah Herzsprung, Jan Josef Liefers, 126 Minuten

(dok)
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