Oscar-Anwärter "Philomena" mit Judi Dench Harter Stoff, leicht inszeniert

Düsseldorf · Eine Mutter hat seit Jahrzehnten keinen Kontakt zu ihrem Sohn und möchte wissen, ob es ihm gutgeht. Zurecht gehört "Philomena" von Regisseur Stephen Frears zu einen der großen Oscarfavoriten.

Judi Dench brilliert in "Philomena"
9 Bilder

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Martin, gespielt vom britischen Komiker Steve Coogan, braucht ein bisschen Zeit, um Philomena ins Herz zu schließen. Aber Regisseur Stephen Frears hat das Publikum schon nach wenigen Szenen auf seiner Seite. Was maßgeblich mit Judi Dench zu tun hat. Die Britin stattet Philomena mit jener Würde aus, die all ihren Figuren eigen ist. Für die Rolle erhielt die 79-Jährige eine Oscar-Nominierung, es ist ihre siebte. 1999 hat sie den Goldjungen schon mal bekommen, für ihre Darstellung der Elizabeth I. in "Shakespeare in Love". Gut möglich, dass er jetzt Gesellschaft bekommt.

Es war Steve Coogan, der 2010 auf das Buch "The Lost Child of Philomena Lee" des Journalisten Martin Sixsmith stieß. Die darin beschriebene Geschichte der echten Philomena faszinierte Coogan so sehr, dass er am Drehbuch mitschrieb und den Film als Produzent anschob. Der Film arbeitet nun Philomenas Jugend in Rückblenden ab. 1952 ist die Schwangerschaft des 17-jährigen Mädchens im katholischen Irland für die Familie eine Schande. Philomena muss ihren Sohn in einem Kloster zur Welt bringen. Wie Dutzende andere junge Mütter darf sie ihr Kind danach nur eine Stunde pro Tag sehen, der Rest ist Zwangsarbeit. Als der Junge drei Jahre alt ist, geben die Nonnen ihn einem schicken Ehepaar mit.

Auf der Suche nach dem verlorenen Sohn

50 Jahre später wird Martin im Dorfpub hören, dass es zu jener Zeit hieß, im Kloster könne man für 1000 Pfund ein Kind kaufen. Es ist ein ausgewachsener Skandal, aber für Philomena zählt nur die eigene Schande. Ein halbes Jahrhundert arbeitet sie als Krankenschwester, gründet eine Familie, schämt sich und schweigt. Erst dann beschließt sie, den verlorenen Sohn zu suchen, sie will sich vergewissern, dass sein Leben glücklich ist, und Martin soll ihr dabei helfen. Aber die Nonnen schweigen hartnäckig, alle Dokumente wurden verbrannt. Eine schwache Spur führt nach Amerika.

Ein weniger feinfühliger Regisseur hätte aus dem Stoff eine tränenreiche Soap gemacht. Aber Stephen Frears, der in "Die Queen" selbst Elizabeth II. aus der Ikonenstarre befreite, zeigt Menschen gern in all ihren Facetten und nimmt sich Zeit dafür. In den Rückblenden wirken das ruhige Erzähltempo und die konservative Bildsprache altbacken, Denchs und Coogans Chemie aber geben sie den nötigen Raum. Über weite Strecken überzeugt "Philomena" als leichte Buddykomödie im Screwball-Stil eines Billy Wilder oder Roger Michell, dem schweren Thema zum Trotz. Unaufgeregt und mit einer feinen Balance aus Witz und Tragik erzählt "Philomena" von Schuld und Reue, echten und falschen Sünden, dem Abgrund zwischen Vergeltung und Vergebung.

Und der Film schafft es immer wieder, die Erwartungen der Zuschauer zu unterlaufen. Denn in Wahrheit ist Philomena mit ihrer schlichten Intuition Martin stets einen Schritt voraus. Köstlich die Szene, in der sie von der Homosexualität ihres Sohnes erfährt — und mit völligem Gleichmut sagt, das wisse sie schon, der Kleine sei früher schon so sensibel gewesen. Und sehr bewegend am Ende die Konfrontation mit den Nonnen, denen Philomena von Herzen verzeiht - und sich damit als einzige wahre Christin im Raum herausstellt. Am Ende wird Philomena nicht genau da sein, wo sie hinwollte, aber ihren Frieden wird sie haben. Und Martin, der Misantroph mit Oxford-Abschluss, wird Tischgebete und Schundromane immer noch lächerlich finden, aber viel gelernt haben von Philomena. Er möge keine human interest stories, in denen menschele es ihm zu sehr, sagt Martin zu Beginn. Ironischerweise demonstriert Frears danach gerade an seiner Entwicklung die hohe Kunst der human interest story. "Philomena" zeigt, wie schön es menscheln kann, wenn es mit so viel Stil geschieht wie hier.

(RP)
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