Film-Kritik An deiner Schulter: Zicken-Zähmung

Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren - was allerdings Terry Wolfmeyer (Joan Allen) macht, ist schon mehr als das. Sie besäuft sich mit Wodka, nachdem ihr Mann sie sitzenlässt. Die Töchter blicken erstaunt auf die wütende Mama, die sich in "An deiner Schulter" - wie es der Titel verspricht, aber bald einen neuen Mann gönnen darf.

An deiner Schulter
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Foto: Tobis Film

Kevin Costner ist der Glückliche, doch erstmal muss die Verlassene als Wüterich allerlei Chaos anrichten. Denn im amerikanischen Original nennt sich der Film "The Upside of Anger" und verweist darauf, dass Ärger, Wut und Zorn auch ihr Gutes haben. Wie eine Furie fegt Joan Allen als Terry über die Leinwand und richtet diesen grenzenlosen Groll grandios gegen alle und alles. Ihre Schöner-Wohnen-Welt in einem Vorort von Detroit hat schließlich über Nacht jedweden Hochglanz verloren, während sie ihren Gatten mit seiner schwedischen Sekretärin in jungem Glück wähnt.

Im Nachthemd vegetiert die Mittvierzigerin vor dem Fernseher dahin, verfolgt tagelang teilnahmslos den Krieg in Afghanistan oder die Anthrax-Hysterie in den USA, stets einen Drink zur Hand und immer öfter ihren Nachbarn Denny Davies zur Seite. Kevin Costner ist der genau so großartige Gegenspieler von Joan Allen, der allerdings nicht die starke Schulter verkörpert, sondern einen geduldigen Schmuseteddy, der sich klaglos an die Wand werfen lässt.

Den beiden bei ihrem Spiel zuzuschauen, macht Spaß. Als Trinkkumpan toleriert Terry anfänglich den ehemaligen Baseballstar mit Bauchansatz und Bartstoppeln, dessen Wohnung einer Müllhalde gleicht und dessen Dasein gleichermaßen entrümpelt werden sollte. Denny fühlt sich in dem Haus voller Frauen wohl, "hier ist alles so weiblich", sagt er beim gemeinsamen Essen. Er mag das Familienleben und besonders Terry, die in ihrem Zorn und ihrem Protest die kleinbürgerlichen Konventionen bricht, die ihr früheres Leben bestimmt haben. Wie eine Seelenverwandte in der Midlife-Crisis kommt sie ihm dabei vor. Abwechselnd lässt sie ihn an sich heran und weist ihn wieder ab, und in dieser klassischen Zähmung der Widerspenstigen steckt der beste und witzigste Teil von "An deiner Schulter".

Eines Tages entschließt sich Terry, mit Denny ins Bett zu gehen, ruft ihn an und sagt: "Diese Chance ist so einmalig wie Halleys Komet ­ sie kommt erst in 75 Jahren wieder." Denny willigt zuerst ein, doch dann packt ihn die Furcht, und er versteckt sich in Unterhose und T-Shirt hinter seinem Gartenhäuschen.

Charaktere dürfen sich nicht entwickeln

Eigentlich stimmen also die Voraussetzungen für einen guten Film, und phasenweise funktioniert die Geschichte dank der starken Hauptdarsteller auch, aber Drehbuchschreiber und Regisseur Mike Binder gesteht seinen Charakteren keine Entwicklung zu. Im Verlauf von zwei Stunden im Kino und drei Jahren im Leben von Terry, ihren Töchtern und Denny verändert sich fast nichts.

Die verlassene Ehefrau pflegt ausgiebig ihr Selbstmitleid und ihre Verbitterung. "Du bist ein solcher Psychopath", schimpft eine Tochter etwa zur Halbzeit, und man denkt: "Ja! Genau! Reiß dich endlich zusammen!" Stattdessen stößt sie weiterhin ihrem Nachbarn vor den Kopf, und der kommt regelmäßig lächelnd und lieb wieder angedackelt. Und sie terrorisiert ihre Töchter, ohne dass die Konflikte nachvollziehbar sind, weil die Mädchen (Evan Rachel Wood, Erika Christensen, Keri Russell und Alicia Witt) nur wie Randfiguren durch den Film huschen, und die Aufregung mangels Handlung unverständlich bleibt.

Nach unzähligen Anfällen wortgewandter Hysterie ist der Film lange vor seinem Ende erschöpft. Mike Binder will zwar mit billigen Tricks für Spannung sorgen und lässt "An deiner Schulter" mit einer Beerdigung beginnen, ohne zu verraten, wer im Sarg liegt. Doch dadurch wird jedes dramatische Ereignis sofort mit der Möglichkeit des Todes überzeichnet. Die verblüffende Drehung am Schluss bringt die Geschichte dann vollends um.

Weise Worte sind vom Nesthäkchen der Familie zudem zuweilen aus dem Hintergrund zu hören. "Die Menschen wissen nicht, wie sie leben sollen, sie beißen statt zu küssen", erklärt die Teenager-Tochter zum Beispiel. So poetisch wird die Kleine, dass man sich wünscht, ihre Mutter würde besser noch einen zynischen Spruch lallen, den sie am Boden ihrer Schnapsflasche aufgelesen hat.

(ap)
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