"Das brandneue Testament" Sieht so der "liebe Gott" aus?

Düsseldorf · Der Allmächtige lebt. In einer Dreizimmerwohnung in Brüssel hat sich der Prolet hinter Computern verschanzt und steuert die Geschicke der Menschheit. Ziemlich übel ist Jaco van Dormaels Vision in "Das brandneue Testament".

"Das brandneue Testament" von Jaco van Dormael: Sieht so der "liebe Gott" aus?
Foto: dpa, hjb

Nein, so hat man sich Gott nie vorgestellt. Schütteres Haar, scheeler Blick, ranziger Morgenmantel, Kippe im Mundwinkel. Diesem Gott strömt der Hass aus jeder Pore, Hass auf sich selbst, auf Frau und Kinder. Auf die Menschen, die er erschaffen hat.

So schlimm steht es um die Schöpfung in der beklemmend komischen Satire "Das brandneue Testament". Ein Film, der katholische Instanzen aufregen könnte, aber das gab es bei "Das Leben des Brian" oder "Dogma" ja auch schon. Wer aber über die eigene Religion auch in empfindlichen Zeiten noch lachen kann, wird hier seinen himmlischen Spaß haben.

Am Anfang erschuf Gott Brüssel. Und da wohnt er auch, in einem dunklen Apartment. Im Film ist das so, weil Regisseur Jaco van Dormael ("Mr. Nobody") Belgier ist. Dass ausgerechnet Brüssels Alltag derzeit von terroristischen Gotteskriegern bestimmt wird, ist ein absurder Zufall, schnürt einem die Kehle zu. Dabei parodiert van Dormael nur naive Vorstellungen vom "lieben Gott". So witzig und bitterböse, wie das seit den Monty Pythons keiner mehr geschafft hat.

Gott ist also ein Sadist, der den Teufel überflüssig macht, weil er seine Kreaturen gerne selbst quält, brillant verkörpert vom belgischen Komiker Benoît Poelvoorde. Gottes verschüchterte Frau (Yolande Moreau) darf kein Wort sagen, wahrscheinlich seit einer Ewigkeit. Sohn JC ist schon vor 2000 Jahren abgehauen. So bekommt die zehnjährige Tochter Éa (Pili Groyne) die Schläge mit dem Gürtel. Und für die Menschheit zettelt Gott unermüdlich Kriege an, Naturkatastrophen und Seuchen. An die 1500 Gebote hat er schon feixend in den Computer getippt, die gehen so: "Wenn du eine Frau wirklich liebst, wirst du nicht mit ihr dein Leben verbringen." "Fällt dein Brot runter, dann auf die Marmeladenseite." "Die Kassenschlange nebenan ist stets schneller."

Éa will das nicht mehr. Sie türmt Richtung Erde, durch die Waschmaschine, bei 40 Grad öffnet sich ein Tunnel wie bei Alice im Wunderland. Éa will sechs zusätzliche Apostel suchen, weil 18 die Glückszahl ihrer Mutter ist. Zuvor hackt sie sich noch in den Computer des Vaters und schickt jedem Erdenbürger eine SMS mit seinem genauen Todesdatum, Countdown inklusive.

Auf der Erde nennen die Menschen das "DeathLeaks". Dann räumen sie ihre Konten, beenden ihre Kriege und reisen zum Polarkreis oder ans Meer, um sich ihre Träume zu erfüllen, so lange es noch geht. Plötzlich hat Gott nichts mehr zu melden. Wütend stürzt er sich in die Waschtrommel, der verlorenen Tochter hinterher.

Unbeirrt erwählt Éa ihre sechs postmodernen Apostel, deren Geschichten der Film in zartbunten Episoden erzählt. Es sind die liebenswertesten Außenseiter, die man seit der fabelhaften Amélie gesehen hat. Ein alter Clochard ohne Handy, der sein Todesdatum nicht kennt und souverän die Ruhe bewahrt. Ein Junge, der ein Mädchen sein und rote Kleider tragen will. Ein Mörder (François Damiens), eine Einarmige, ein Sexbesessener. Und Catherine Deneuve als vernachlässigte Ehefrau. Auf die Idee, die Ikone des französischen Kinos mit einem Gorilla ins Bett zu stecken, muss erst mal einer kommen.

Er wolle nicht schockieren, nur ein Märchen erzählen, sagt van Dormael, und sein Film atmet den verträumten Zauber eines Märchens. Künstlich überhöhte Pappkulissen erinnern an die surreale Ästhetik von Jeunet-Kopfgeburten wie "Die Stadt der verlorenen Kinder". Und magischer Realismus, überall. Giraffen traben durch Brüssel, Hände tanzen anmutig auf Tischen. Der erste Mensch wandelt nackt und staunend durch noch leere Büros. Vor den Lenden einen schwarzen Balken, urkomische Digital-Persiflage auf das Feigenblatt.

Als der zornige Gott auf der Erde strandet, erlebt er die perfide Bösartigkeit seiner Gebote zum ersten Mal selbst. In der Kirche, wo Suppe an die Obdachlosen ausgegeben wird, ist seine Schlange die langsamere. Als Gott lospöbelt, wird er, weil ohne Papiere, nach Usbekistan abgeschoben.

"Das brandneue Testament" ist erfrischend, berührend und als Komödie unterhaltsam; bibelfest, aber ohne jede Gottesfurcht. Am Ende löst van Dormael alle Probleme so elegant wie schlicht. Wie sähen Himmel und Erde eigentlich aus, wäre Gott eine Frau? Denn da oben in der Brüsseler Wohnung ist ja noch eine Göttin. Eine mit einem Faible für blumige Pastelldeko und Freude am Aufräumen. Und ein Computer, der eigentlich nur mal einen Neustart braucht. Genau wie die Welt.

(RP)
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