"Das Märchen der Märchen" Böse Märchen für dunkle Stunden

Unvergessliche Bilder, aber kein roter Faden: Der opulente Film "Das Märchen der Märchen" lässt den Zuschauer unbefriedigt zurück.

"Das Märchen der Märchen" mit Salma Hayek und unvergesslichen Bildern
Foto: 186

Ein paar Bilder brennen sich ein. Salma Hayek in Schwarz vor einer weißgetäfelten Wand, wie sie gierig und mit rot verschmiertem Kinn ihre Zähne in ein riesiges Drachenherz senkt. Ein drolliger König mit Harlekingesicht, gespielt von Toby Jones, tätschelt den fetten Rücken eines Flohs, groß wie ein Elefantenkalb. Vincent Cassel, an die Tür einer Armenhütte gepresst, küsst einen schlanken Zeigefinger, der ihm durch ein Loch im Holz dargeboten wird. Zwei Stunden lang trudelt man in "Das Märchen der Märchen" haltlos durch Szenen wie diese: wuchtig, verstörend, aber wirr. Und die Geschichten, zu denen sie gehören, wollen sich einfach nicht greifen lassen.

In Märchen geht es schon mal grausam zu. Man denke nur daran, was die Brüder Grimm Aschenputtels Stiefschwestern angetan haben oder Hans Christian Andersen seiner Meerjungfrau. Märchen erzählen klare Geschichten mit einem klaren Ende. Einen Kampf - jung gegen alt, gut gegen böse, Mensch gegen Kreatur - gibt es immer und einen Sieger sowieso. Die Grimms waren ihrerseits große Fans (und dankbare Ideen-Erben) des "Pentameron", einer Märchensammlung des neapolitanischen Dichters Giambattista Basile. 50 Geschichten, randvoll mit mythischen Fabelwesen, Hexen, Ogern. Drei davon pickte sich der italienische Regisseur Matteo Garrone ("Gomorrha") heraus. Eine blutige, groteske Phantasmagorie ist sein "Märchen der Märchen" geworden und absolut nichts für Kinder.

Da sind der König von Longtrellis (John C. Reilly) und seine unfruchtbare Königin (Salma Hayek). Ein Magier verspricht Hilfe: Der König muss einem Meeresdrachen das Herz herausschneiden, eine Jungfrau soll es kochen und die Königin es essen. Der König stirbt im Kampf, die Königin hält unbeeindruckt ihr Festmahl und wird mit einem Jungen schwanger. Die Köchin allerdings auch.

Im benachbarten Königreich Strongcliff verbringt ein sexsüchtiger König - wie üblich mit Vincent Cassel besetzt - seine Tage damit, Orgien zu feiern und Jungfrauen zu jagen. Als er eine schöne Mädchenstimme singen hört, ist er entflammt. Ihre Besitzerin ist eine hässliche Greisin (Hayley Carmichael), die sich mit ihrer Schwester (Shirley Henderson) hinter verriegelter Tür in einem Täuschungsspiel mit dem ahnungslosen Monarchen verstrickt. Und gleich ums Eck im Königreich Highhills züchtet der dritte König (Toby Jones) seinen Riesenfloh heran. So hingebungsvoll, dass er darüber seine Tochter (Bebe Cave) versehentlich an einen grässlichen Oger verschenkt.

Von ein paar flüchtigen Begegnungen der Figuren abgesehen bleibt jedes Märchen für sich, Garrone springt episodisch dazwischen hin und her. Etwa 20 Minuten lang ist man erschlagen von den sattfarbenen Kostümen, prächtigen Setdesigns und ein paar atemberaubenden Leinwandgemälden des Kameraveteranen Peter Suschitzky ("Rocky Horror Picture Show"). Aber dann ist auch schon die Luft raus. Garrones bewegte Bilder gefrieren zu Stillleben, die Moral aus den Geschichten bleibt ein Rätsel, und die Märchen finden kein Ende.

Das mag auch daran liegen, dass Garrone mehr an Schauwerten als an Gefühlswerten gelegen ist. Anstatt den Figuren Leben einzuhauchen, stellt er sie dekorativ in absonderliche Kunstwelten. Mit der Konsequenz, dass man keine von ihnen so richtig mag, trotz ihrer zeitlosen Seelenkonflikte. Was hätte man nicht psychologisch und dramatisch alles rausholen können aus dem unerfüllten Kinderwunsch der Königin, dem Schönheits- und Jugendwahn der zwei Weiber, der verletzten Wut der vernachlässigten Tochter.

Um die großen, wahrhaften Märchenthemen geht es bei Basile, Obsession und Verblendung, Eitelkeit und unerwiderte Liebe. Und Sehnsüchte, deren Erfüllung teuer bezahlt werden muss. Bei Garrone sind es eher die liebevoll altmodisch im Modell gestalteten Fabelwesen, die im Kopf hängenbleiben. Die internationalen Stars, Salma Hayek vorneweg, die tapfer gegen die Leerstellen im englischsprachigen Skript anspielen. Die verquere Optik, die sich eine Nische sucht abseits von "Game of Thrones" und die ungleich mehr Charakter hat als Hollywood-Seifenopern wie "Spieglein Spieglein" oder "Cinderella". Am Ende lässt der Film einen ratlos, ermüdet und unzufrieden zurück. Wie ein Kind, dem man ein Märchen ohne Schluss erzählt hat.

(RP)
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