Film-Kritik Hautnah: Erotischer Seelen-Strip

Der Streifen "Hautnah" ist eine Geschichte, die das Leben schreiben könnte: Beziehungsdramen, gebrochene Herzen und verletzte Gefühle dominieren den neuen Film von Star-Regisseur Mike Nichols ("Die Reifeprüfung"). Am 13. Januar kommt der Streifen mit Julia Roberts, Jude Law, Natalie Portman und Clive Owen in die Kinos.

Hautnah
24 Bilder

Hautnah

24 Bilder
Foto: Columbia Tristar

Regieveteran Mike Nichols, der einst Klassiker wie "Die Reifeprüfung" und "Die Waffen der Frauen" gedreht hat, setzt mit diesem Anti-Rendezvous-Film, der etwaige romantische Ideen mit Stumpf und Stiel ausrottet, erneut eine starke Duftmarke.

Im trüben London kreuzen sich die Wege von vier ausnehmend attraktiven Zeitgenossen, deren jeweiliges Zusammentreffen stets den Anfang beziehungsweise das Ende einer Liebesbeziehung markiert. Der Reigen, der sich über vier Jahre erstreckt, beginnt mit dem erfolglosen Schriftsteller und Nachruf-Verfasser Dan. Er lernt auf der Straße die kesse Amerikanerin Alice kennen, die behauptet, eine ehemalige Stripperin zu sein.

In der nächsten Episode ist Dan vor der Linse der Fotografin Anna zu sehen, die sein Foto für den Klappentext seines ersten Buches aufnehmen soll. Dan, der nun glücklich mit Alice zusammenlebt, flirtet beharrlich mit Anna, die ihn jedoch abblitzen lässt. Er rächt sich, indem er bei einem heißen Internet-Sex-Chat mit dem Dermatologen Larry sich als Anna ausgibt, worauf - selbst schuld - Larry und Anna sich kennen lernen. Einige Monate später jedoch, die beiden sind inzwischen verheiratet, gesteht Anna Larry eine Affäre mit Dan. Larry weiß sich Genugtuung zu verschaffen.

In diesem Bäumchen-Wechsle-Dich-Spiel, das auf einem erfolgreichen britischen Theaterstück basiert, wird sehr viel geredet - aber wie! Die geschliffenen Dialoge, in denen äußerst freizügig und schmutzig über Sex parliert wird, sind auch Meisterwerke der Manipulation, wobei ihre Absichten den Protagonisten selbst gar nicht bewusst sind. Sie wissen aber, dass derjenige, der seine Gefühle preisgibt, der Schwächere im Liebesduell ist. Paradoxerweise erweisen sich jedoch Geständnisse als die beste Waffe, um das Gegenüber zu k.o. zu schlagen.

Liebe als grausames Spiel

Ringelpiez ohne Anfassen: Es gibt keine einzige Bettszene in diesem coolen Drama, in dem sich doch alles um Sex dreht, und selbst bei einer glamourösen Strip-Szene, bei der Alice dem liebeskranken Larry einheizt, ist vergleichsweise wenig Haut zu sehen.

Doch die Luft brennt, wenn sich die Viererbande begegnet: Selten hat es so geprickelt auf der Leinwand, selten waren vier Darsteller so begehrenswert und zugleich so unsympathisch. Julia Roberts als Fotografin Anna ist ebenso smart wie verletzlich und scheint in einer unergründlichen Traurigkeit befangen - selbstmitleidige Pose oder echte Empfindung?

So genau weiß man das auch bei Jude Law nie, der gekonnt gegen sein Image als "Sexiest Man Alive" anspielt, das ihm das Magazin "People" vor kurzem verliehen hat. Als charmanter Narziss Dan, der vor lauter Selbstliebe den Ast absägt, auf dem er sitzt, erweist er sich letztlich als Schwächling. Am markantesten ist Clive Owen ("King Arthur") als Larry, der sich hinter seiner Maske eines lüsternen Wolfes mit vulgärem Macho-Gerede mal als verwundete Seele entpuppt und dann wieder eiskalt berechnend ist. Natalie Portman (Königin Amygdala aus "Star Wars") als mysteriöse junge Alice bleibt dagegen eine, wenn auch schillernde, Männerfantasie.

Ein wenig wirkt das hermetische Szenario wie ein kalt ausgeleuchtetes Experiment, dessen Laborratten vier Großstadtsingles sind und mangels existenzieller Probleme die Liebe als grausames Spiel betreiben, um ihre Grenzen zu testen. Denn das bürgerlich-bohemienhafte Ambiente ist zu nachlässig-stilbewusst, die Gespräche zu elaboriert und die Darsteller zu schön, um wahr zu sein.

Doch hinter dieser von trockenem, distanziertem Humor begleiteten Versuchsanordnung mit ihren Flirts, Hahnenkämpfen und Krokodilstränen scheint die Abgeklärtheit einer Philosophie durch, die weiß, dass Liebe, Lüge, Lust und Frust zusammengehören und irgendwie auch Würze ins Leben bringen. Und die Hoffnung, dass beim nächsten Partner alles ganz anders wird. Ein brillanter Beziehungsfilm, der für Diskussionen sorgt und bei den Oscarnominierungen ganz oben steht.

(ap)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort