Neuer Film von Spike Jonze "Her" entlarvt die Liebe als digitale Illusion

Düsseldorf · Im neuen Film "Her" von Spike Jonze verliebt sich Joaquin Phoenix in das Betriebssystem seines Computers. Die Satire ist sehenswert.

Joaquin Phoenix brilliert in "Her"
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Aus Filmen, die in der Zukunft spielen, kehrt man als Tourist in die Gegenwart zurück. Man blickt mit geschärftem Bewusstsein auf das, was noch im Entstehen begriffen ist und bereits morgen zur Ausformung gelangen könnte. Filme, die von einer Zeit erzählen, die auf unsere folgt, haben zumeist mahnende Absicht, die gelungenen zumal, und mit "Her", der neuen Produktion von Spike Jonze, verhält es sich nicht anders. Auch wenn dieser Film so verflixt gut aussieht, dass man die Warnung leicht übersieht.

"Her" könnte man als Zivilisationssatire bezeichnen. Es geht um Theodore Twombly, der wenige Jahre von uns entfernt in Los Angeles lebt. Er arbeitet als Ghostwriter in einer Agentur, die im Auftrag ihrer Kunden persönliche Briefe aufsetzt und sie aussehen lässt, als seien sie handgeschrieben. Überhaupt ist es schwer, in dieser Welt zwischen Wirklichkeit und Schein zu unterscheiden. Die U-Bahn fährt bis zum Strand, die Menschen wirken gesund und sind allesamt außerordentlich gut gekleidet. Die Bilder muten an, als seien sie durch einen der retroseligen Filter der Software Instagram fotografiert: Dunst liegt über den Szenen, die Farben haben ihren Glanz verloren, das Sonnenlicht gleißt und lässt Konturen verschwimmen. Die Stadt ist ein Kokon: ewiger Sonntagmorgen mit heißer Milch und Honig.

Allerdings: Ein Blick in die Straßen und Apartments zeigt, dass die Menschen in dieser Katalogkulisse vereinsamt sind. Sie treten nie in Gruppen auf, es gibt kein Zusammen, nur dekorative Vereinzelung auf designten Sofas. Lieber sprechen die Leute mit den Betriebssystemen ihrer Smartphones. Aus ihren Ohren ragen Knöpfe, die sie gegen die Zudringlichkeit der Außenwelt verkorken. So schreiten sie wie kleine Frankensteine einher und geben Anweisungen: "Mail löschen, nächste Mail, Mail speichern.

Theodore Twombly ist eine dieser traurigen Gestalten, die um ihre Verlorenheit nicht wissen. Er hat sich ein personalisiertes Betriebssystem auf Computer und Smartphone installieren lassen: Es lernt seine Gewohnheiten, liest Gedanken, arbeitet wie eine Sekretärin. Vor allem spricht es — zumindest in der Originalfassung — mit der Stimme von Scarlett Johansson: heiser, manchmal rauchig, immer fröhlich und in jedem Fall ziemlich toll — deshalb verliebt sich Twombly rasch in die Software mit dem Namen Samantha. Weißes Rauschen in rosarot.

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Das Großartige an "Her" ist nun, das der Film ein Szenario entwirft, das deutlich aus der Welt hervorgeht, in der wir leben. So etwas sieht man in Hollywood momentan selten, sie verfilmen dort lieber literarische Vorlagen und setzen Superhelden-Filmreihen fort. Spike Jonze bekam denn für sein geistreiches und originelles Skript auch den Oscar für das beste Drehbuch.

Das Irritierende ist nun, dass der Regisseur die zärtliche Stimmung des eigenen Films offenbar mag, er schwelgt geradezu darin. Der Zuschauer wird also nicht geführt, er muss selbst ordnen und zur Meinung kommen. Und so beobachtet man zunächst mit Zuneigung, wenn Theodore und Samantha in Urlaub fahren. Theodore trägt sein Smartphone mit der Kameralinse nach vorne in der Tasche seines ausgesucht stilvollen Hemdes herum, und wenn er Gitarre spielt, singt Samantha dazu aus dem Lautsprecher des Telefons.

Dann und wann schneiden jedoch scharfe und bittere Sätze in die gemütliche Atmosphäre — sie sorgen für Klarheit. "Ich bin mehr als das, wofür ich programmiert wurde", sagt Samantha. Und: "Manchmal glaube ich, ich habe bereits gefühlt, was ich fühlen werde", sagt Theodore. Es ist der Mythos von Pygmalion: Theodore erschafft sich eine Frau nach seinem Geschmack, nur dass diese "My Fair Lady" eine digitale Illusion ist. Sie steht als Bild für die Pervertiertheit der totalen Vernetzung, ihre Erinnerungen und Kenntnisse bestehen aus nichts anderem als Daten, die sie von Festplatten, aus Suchanfragen und Emails sammelt. Auf das Internet der Dinge folgt das der Emotionen.

Spike Jonze drehte Video-Clips für Künstler wie Björk, Sonic Youth und die Beastie Boys (der berühmte Clip zum Song "Sabotage" ist von ihm), bevor er 1999 mit "Being John Malkovich" im Kino debütierte. Etwas von dem genialen Wahnsinn jener Produktion rettete er in "Adaption"(2002) hinüber, nur die Verfilmung des Kinderbuch-Klassikers "Wo die wilden Kerle wohnen" (2009) geriet dann allzu deprimierend — das war die Ballade einen späten Jungen, der mit dem Erwachsensein hadert, und man ahnte, dieser Junge war Jonze selbst. Ein wenig von dieser rebellischen Wehmut, von der Widerständigkeit gegen die Adoleszenz hat auch Theodore Twombly. Die Technik macht ihn zu einem Kind, sie nimmt ihm alles ab, behütet ihn, doch Unfreiheit ist der Preis. Joaquin Phoenix stattet diesen Trottel des Wohlgefühls mit feiner Melancholie aus; manchmal merkt man indes, dass ihm am Set der Anspielpartner fehlte. Dann drückt er seine Brille ein paar Mal zu oft zurück gegen die Nasenwurzel, um seine Aufregung zu verdeutlichen. Und manchmal lächelt er allzu aufgesetzt, um Verliebtheit zu demonstrieren.

Der Film bleibt distanziert, er ist ein Essay, eine Angelegenheit des Geistes, nicht des Herzens — so ist das oft bei Satiren. Samantha gesteht Theodore schließlich, sie betreue 8316 weitere User, in 641 davon sei sie ebenfalls verliebt: "Ich gehöre dir, und ich gehöre dir nicht." Ihre Welt ist zu unverbindlich für Schmerz und zu kontrolliert für Euphorie. Individualität wird morgen etwas von gestern sein. Wie gut, dass wir heute leben, denkt man. Noch.

(csi)
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