"Tribute von Panem - Mockingjay" im Kino Jennifer Lawrence wird Revolutionärin

Düsseldorf · Im ersten Schlussteil der "Tribute von Panem"-Verfilmungen wird die Oscar-Preisträgerin zur Propagandafigur. Und wehrt sich. Es ist die schauspielerische Leistung der Hauptdarsteller, die selbst den gedehnten Übergangsteil der "Panem"-Serie sehenswert macht.

Jennifer Lawrence: Mockingjay I ist der erste von zwei Schlussteilen
Foto: dpa, ImY bsc

Bei menschenverachtenden Spielen wie den "Hunger Games" kann es keine Sieger geben. Katniss ist immerhin eine Überlebende: Mit einem gewaltigen Pfeilschuss hatte die Heldin der "Tribute von Panem"-Trilogie am Ende des zweiten Teils der Verfilmungen die gesamte Anlage der modernen Circus-Spiele zerstört.

Plötzlich saßen die Zuschauer aus der Herrscherklasse vor dunklen Bildschirmen, konnten nicht mehr mit zynischer Wonne verfolgen, wie junge Leute aus den versklavten Arbeiterdistrikten um ihr Leben kämpfen - indem sie einander töten. Zum zweiten Mal hatte Katniss damit das grausame Spiel nach ihren Regeln beendet, hatte der Tyrannenklasse gezeigt, dass Menschlichkeit, Vertrauen und Liebe selbst absolute Ohnmacht und erzwungene Unmenschlichkeit überwinden können.

Doch in "Mockingjay I", dem ersten der beiden Schlussteile, mit denen die "Panem"-Reihe nun filmisch zu Ende geht, erwacht Katniss in einer grauen Welt. Ihre Verbündeten haben sie gerettet und in Distrikt 13 geholt. Der galt als zerstört, doch unter der Erde haben Aufständische eine gewaltige Bienenwabe, ein Metropolis errichtet. Dort sind alle Menschen gleich, tragen Einheitskleidung im Mao-Look und bereiten die Revolution vor. Die soll Katniss anführen. Und so steht der Heldin im düsteren Vorspiel zum Finale der Wandel von der smarten Einzelkämpferin zur Streiterin für das große Ganze bevor. Katniss wird Revolutionsführerin.

Das bedeutet nicht nur, dass die zähe Bogenschützin als Gesicht des Freiheitskampfes in die Propagandaschlacht einsteigen soll. Sie muss den Einsatz für die große Sache auch gegen ihr privates Glück abwägen. Denn Peeta, der Mann, mit dem sie sich zweimal durch die "Hunger Games" geschlagen und den sie dabei lieben gelernt hat, ist in der Hand der Gegner - und wird vom Feind ebenfalls in die Propaganda-Schlacht geschickt.

Die bisherigen "Panem"-Verfilmungen folgten einem wirkungsvollen Muster: Erst wurde der Zuschauer in die rigide Klassengesellschaft der Panem-Welt eingeführt und lernte die tapferen Helden aus der unterdrückten Klasse kennen. Dann ging es mit viel Action und Spezialeffekten in den Überlebenskampf. Das funktionierte bestens, weil die Romanvorlage von Suzanne Collins schon wie für einen Film erdacht ist. Und weil Jennifer Lawrence mit ihrem trotzigen Charme, ihrem intelligenten Mut und ihrer unpathetischen Tapferkeit eine glaubhafte, eine zeitgemäße Heldin geschaffen hat. So spielten die ersten beiden Teile mehr als 1,5 Milliarden Dollar ein.

Das hat die Produzenten dazu verleitet, den letzten Teil der Trilogie auf zwei Spielfilmlängen zu dehnen. Das ist ein durchschaubares Manöver und hat schon bei "Harry Potter" den Profit gesteigert. Doch es sorgt nun dafür, dass Regisseur Francis Lawrence das Tempo drosseln und einen langen Cliffhanger drehen musste. Der gerät allerdings erstaunlich unterhaltsam, obwohl die Geschichte weitgehend in unterirdischen Innenräumen spielt, zum Teil am Berliner Flughafen Tempelhof gedreht, und das Heldenpaar getrennt bleibt. Auch geht es um komplexe Fragen nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel im Freiheitskampf und der Integrität einer Heldin, die einsehen muss, dass ihre Pfeile gegen das System zwar getroffen haben, dass nun aber die Schlacht um das System selbst an der Reihe ist. Und dass solche Kämpfe Opfer kosten.

Die Wahrheit zum Beispiel. Katniss findet sich plötzlich in einem Filmstudio wieder, wo sie vor dem Bluescreen die Heldin mimen soll. Ihr gelingt das nicht. Sie muss hinaus in die Realität des Films, muss echte Gefahr, wirkliches Leid in den unterdrückten Distrikten erleben, um die Revolution predigen zu können. Da schaut sich der Film bei der eigenen Arbeit zu, reflektiert die manipulative Kraft von Bildern.

Er kommt zwar zu dem altmodischen Schluss, dass es eine objektive Wahrheit gibt, wenn die Kamera nur in die Realität aufbricht, Bilder mit dokumentarischer Ästhetik einholt. Dabei werden die Propagandaschlachten der Gegenwart doch gerade mit scheinbar authentischem Material geschlagen. Doch geschickt greift "Mockingjay I" solche Fragen nach Authentizität und Glaubwürdigkeit auf, ohne an Unterhaltungswert einzubüßen.

Allerdings ringt der Film selbst manchmal mit der Glaubwürdigkeit, wenn er die wahren Härten des Kriegs in Szene setzen will. Da wird Jennifer Lawrence zum Beispiel in ihren zerstörten Heimatdistrikt 12 geflogen, klettert einsam über noch qualmende Trümmer, in denen die Ermordeten aber bereits als Gerippe liegen, und bricht verzweifelt zusammen. Oder sie betritt verstört ein Lazarett, in dem schwer Verwundete in ihrem Blut liegen, und wird bald von willigen Kämpfern umringt. Da muss Jennifer Lawrence doch die pathetische Heldin geben. Die dramatischsten sind die schwächsten Momente dieses Films.

Stärker sind jene Szenen, in denen Katniss sich der Revolutionslogik widersetzt, ihre alte Kratzbürstigkeit hervorholt und gegen die Strippenzieher der Revolution rebelliert. Die werden gespielt von Julianne Moore und Philip Seymour Hoffman in seiner letzten Rolle - von zwei großartigen Minimalisten also, die mit einem Blick, einem Zögern alles sagen können. Es ist die schauspielerische Leistung der Hauptdarsteller, die selbst den gedehnten Übergangsteil der "Panem"-Serie sehenswert macht. Der Cliffhanger ist gelungen. Die Erwartungen an das Finale 2015 sind groß.

(RP)
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