"Melodys Baby" im Kino Eine Obdachlose wird zur Leihmutter

Düsseldorf · In der ersten Szene kauert Melody zusammengekrümmt auf einem blutroten Sofa, schmal und fast nackt und sehr verletzlich. Danach wird man die spröde junge Frau immer wieder in Belgien durch Straßenschluchten, dunkle Hausruinen und grelle Klinikflure laufen sehen, allein, schutzlos der Welt ausgesetzt.

"Melodys Baby": Eine Obdachlose wird zur Leihmutter
Foto: dpa

Melody ist obdachlos und würde für Geld eine Niere verkaufen, wie sie einer Freundin gesteht. Stattdessen schaltet sie eine Leihmutterschaftsanzeige im Internet. Es meldet sich Emily, jenseits der Vierzig, Single und beruflich erfolgreich. Der Deal ist schnell und sachlich geschlossen, das anonym befruchtete Ei kommt aus Amerika, eingesetzt wird es in der Ukraine. Erst als Emilys Baby in Melodys Bauch ist, erfahren die beiden den wahren Grund der anderen.

Mit seinem stillen Drama "Melodys Baby" will der belgische Regisseur Bernard Bellefroid weder eine sozialpolitische noch eine medizinische Botschaft verkünden. Ruhig und besonnen erzählt er vielmehr von Verantwortung und der Sehnsucht nach Geborgenheit. Und von Müttern und Kindern, in mehr als einer Beziehung.

Seine Heldinnen sind verlorene Seelen: Melody (Lucie Debay) wurde am Tag ihrer Geburt weggegeben und ist traumatisiert. Emily (Rachael Blake) kann nach einer Krebstherapie keine Kinder mehr bekommen. So kommt es, dass Melody sich in Emilys Haus einnistet und mit ihr eine vorsichtige Mutter-Tochter-Beziehung eingeht. Eine Situation, die umso bizarrer wird, je mehr Melodys Bauch und mit ihm Gefühle für das Ungeborene wachsen. Doch das steht nicht im Vertrag. Die Frauen beginnen miteinander zu ringen, denn beide werden Mutter. Und beide auch wieder nicht.

Bellefroid, der 2006 mit der Ruanda-Doku "Gacaca" international bekannt wurde, spart im Drehbuch streng an Worten, nicht aber an Gefühl. Die belgische Entdeckung Lucie Debay und die Australierin Rachael Blake hätten das intensive Kammerspiel vermutlich auch ganz ohne Dialog tragen können. Beim "Montreal World Film Festival" wurde beide gemeinsam mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet. Die Art, wie die beherrschte Emily sich Halt suchend an ihrer Perücke festkrallt, der Nachdruck, mit dem Melody sie bei einer Ultraschalluntersuchung aus dem Zimmer schiebt, sprechen für sich.

Dazu komponiert Bellefroid im stimmigen Wechsel Bilder von Melodys trostloser Außenwelt und Emilys schicker, aber von Traurigkeit umwehter Wohnung, in der man sich ein Kind gar nicht vorstellen kann. Nach den neun Monaten wartet dann auch keine Familie auf Emily und Melody. Stattdessen rücken Ende und Neubeginn ganz nah zusammen.

(RP)
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