Xavier Dolans "Mommy" im Kino Starkes Mutter-Sohn-Drama

Berlin · Er spielt mit der Größe der Leinwand und pendelt behutsam zwischen Drama und Humor: Xavier Dolans "Mommy" ist eins der kraftvollsten Werke des Kinojahres.

Antoine-Oliver Pilon als der gewalttätige Sohn Steve und Anne Dorval als seine Mutter Diane in einer Szene des Films "Mommy".

Antoine-Oliver Pilon als der gewalttätige Sohn Steve und Anne Dorval als seine Mutter Diane in einer Szene des Films "Mommy".

Foto: dpa, ImY

Wenn jemand schon zu Beginn seiner Karriere als Wunderkind gefeiert wird, kann das den Druck enorm erhöhen - und mitunter auch zur künstlerischen Lähmung führen. Nicht aber bei dem Filmemacher Xavier Dolan. Der junge Kanadier (25), der bereits für sein Debüt "Ich habe meine Mutter getötet" bejubelt wurde, drehte innerhalb von fünf Jahren fünf Filme und überraschte jedes Mal mit einem visuell und erzählerisch starken Werk. So nun auch mit "Mommy", der sicher einer der verspieltesten, kraftvollsten und herausforderndsten Filme des Jahres ist.

Wie so oft bei Dolan, steht eine Mutter-Sohn-Beziehung im Mittelpunkt. In diesem Fall sind das die verwitwete und alleinerziehende Diane und der verhaltensauffällige, zu gewalttätigen Wutausbrüchen neigende Teenager Steve. Wer bei dieser Konstellation nun jedoch ein düsteres Drama vermutet, liegt falsch. Denn der Regisseur zeigt seine beiden Hauptfiguren als lebensbejahende Kämpfer, die sich bedingungslos lieben und durch nichts unterkriegen lassen.

Die Gesellschaft macht es diesen Außenseitern nicht leicht. Doch zusammen mit einer seelisch traumatisierten Nachbarin trotzen sie den Widerständen und Tiefschlägen und bilden ein wunderbar unkonventionelles Trio. "Mommy" wird so zu einem Plädoyer für Individualität und Toleranz, für Freundschaft und Liebe.

So unberechenbar Steves Verhalten, so wild ist auch Dolans Inszenierung: Er mixt schnelle Dialoge mit stillen, emotionalen Momenten und unterlegt "Mommy" mit pumpender Musik, die die exzessive Energie seiner Protagonisten noch zu verstärken scheint. Immer wieder variiert Dolan, der auch das Drehbuch schrieb, sein Tempo und verzichtet bei allem Ernst nicht auf Humor.

Hinzu kommen kunstvolle Spielereien mit der Größe der Leinwand - das schmale Bild wird in einigen Szenen auf Leinwandbreite aufgerissen und schrumpft dann wieder auf ein kleineres Quadrat zusammen. Als Steve in einem Moment großen Glücks quasi in die Kamera greift und die Leinwand auseinanderzieht, gab es bei der Premiere auf dem Filmfest Cannes in diesem Jahr sogar spontanen Szenenapplaus. Auch wenn "Mommy" dann am Ende "nur" mit dem Preis der Jury ausgezeichnet wurde, festigt Dolan mit dieser mutigen und intensiven Kinovision doch erneut seinen Ruf als einer der hoffnungsvollsten Jungregisseure.

(dpa)
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