Berlinale-Überraschung "Barbara" Nina Hoss will rübermachen

Barbara sitzt auf einer Bank vor der Klinik und raucht. Gleich soll sie ihre neue Stelle antreten, an einem kleinen Krankenhaus an der Ostsee. Es ist das Jahr 1980, die erfolgreiche Ärztin von der Berliner Charité hat einen Ausreiseantrag gestellt, und die DDR hat reagiert: mit Verbannung in die Provinz. Barbara will ihren Dienst keine Sekunde zu früh antreten. "So ist sie", sagt der Stasi-Mann zu Andre, Barbaras künftigem Chef. Der betrachtet die Neue aus dem Fenster, sieht ihr beim Rauchen zu. Und wahrscheinlich ist es genau dieser Moment, da er sich in die stolze, einsame Frau verliebt.

Christian Petzold ist ein Meister darin, wahre Momente zu schaffen, die von Gefühlen erzählen, ohne sie beim Namen zu nennen. Das hat er in Filmen wie "Die innere Sicherheit", "Yella" oder "Jerichow" gezeigt. Stets hatten diese Filme etwas Karges, Herbes, Schweigsames, das dem Zuschauer Raum lässt, Figuren zu beobachten und deren Motive zu erforschen. Petzoldfilme haben einen eigenen Ton, eine Klarheit, die den Zuschauer hellsichtig macht und den Stil unverwechselbar. Petzold selbst ist das wohl zu viel geworden. Er habe nach "Jerichow" etwas probieren wollen, das nicht so deutlich seine Regiehandschrift trägt, sagte er am Rande der Berlinale. Dort war sein Film früh und lange der Publikums- und Kritikerliebling und bekam am Ende den Silbernen Bären für die beste Regie. Und tatsächlich schlägt Petzold mit "Barbara" einen neuen Ton an. Der Film ist bei aller Dramatik warmherziger, sonniger und hat doch diese Petzold-Gelassenheit, den Figuren zuzuschauen, nichts zu behaupten in Dialogen, sondern zu zeigen im Spiel.

Großartiger Film über die DDR

Genau darum ist Petzold auch ein großartiger Film über die DDR gelungen. Denn "Barbara" ist kein Ausstattungsdrama im Ockerton und Honecker-Sound, in dem frisch gewaschene Trabbis um die Wette knattern, und die Schauspieler sorgsam nachempfundene Ostkonserven konsumieren. Es geht in diesem Film auch nicht darum, von der Unerbittlichkeit eines Regimes zu erzählen, das seine Leistungsträger in die Provinz verbannt, wenn sie sich nicht gefügig zeigen. Oder davon, wie die Stasi mit offensichtlicher Beschattung und überfallartigen Durchsuchungen Ausreisewillige zermürbt. All das zeigt der Film, aber eben nicht vordergründig, schablonenhaft, sondern wie nebenher. Und das kann viel eindringlicher sein. Petzold erzählt von Menschen, die widersprüchlich denken und handeln, mit den Widrigkeiten der Diktatur umgehen müssen, aber eben auch von ganz anderen Dingen bewegt werden, von der Liebe etwa.

Weil Petzold die DDR also wirklich als das behandelt, was sie war: als Hintergrund im Leben der Menschen, als Bedingung für ihr Sein und Bewusstsein, ist ihm ein wahrhaftiger, ein gültiger Film gelungen. Davon gibt es noch nicht viele über die DDR. Selbst das hochgelobte Stasi-Drama "Das Leben der Anderen" von Florian Henckel von Donnersmarck benutzt die DDR, um eine schlaue, doppelbödige Geschichte mit Thrill erzählen zu können. Die Konstruktion des Plots ist wichtiger als die Wahrheit der Figuren. Petzold gelingt ein packender Film, weil seine Figuren wahr sind.

Nina Hoss perfekt für Petzolds Regiestil

Das hat natürlich auch mit den Schauspielern zu tun. Nina Hoss passt so perfekt zu Petzolds Regiestil, weil sie das Geheimnis einer Figur lange bewahren kann. Sie spielt bei Petzold oft äußerlich abweisend, trotzig, ruppig, lässt aber immer etwas von jenseit der Fassade durchschimmern, das neugierig macht. Auch "Barbara" ist eine Unterkühlte, Verschlossene, eine Frau auf der Durchreise, die in den Westen will und kein Zutrauen mehr hat in ihre Mitmenschen. Wie Nina Hoss diese Figur auftauen lässt, sie in winzigen Gesten wandelt, ist bemerkenswert.

Die wirkliche Entdeckung dieses Films ist aber Ronald Zehrfeld. Den hat zwar schon Peter Zadek auf die Bühne geholt, und Dominik Graf vertraute ihm zwei Hauptrollen an, in "Der rote Kakadu" und in "Im Angesicht des Verbrechens", geadelt ist dieser Schauspieler also schon. Doch Petzold hat den stämmigen, früheren Judo-Leistungssportler ungewöhnlich besetzt, als er ihm die Rolle des Arztes Andre gab.

Hintergründige Hommage an die DDR

Zehrfeld ist selbst in der DDR aufgewachsen, er muss sich nicht bemühen, in das Lebensgefühl im Osten einzutauschen. Er spielt seine Figur ganz lässig, heiter, selbstverständlich und überträgt eine sehr charmante, feine Liebenswürdigkeit von seiner Rolle auf den ganzen Film. Nur weil das gelingt, kann eine Geschichte aufgehen, in deren Verlauf eine Frau unerwartet und gegen ihren Willen ankommt im Leben in der DDR, ohne mit dem Regime einen falschen Frieden zu schließen. Nur eine Spur von falschem Kitsch hätte diese Geschichte unmöglich gemacht.

Petzold hat historisch verortet einen zeitlosen Film über die Liebe gedreht, und genau darum ein wahrhaftiges DDR-Porträt.

Bewertung: 4 von 5 Sternen

(RP)
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