"Violette" im Kino Rasende Selbstzweifel einer Schriftstellerin

"Violette" ist das behutsame Porträt der feministischen Schriftstellerin Violette Leduc, die mit Simone de Beauvoir befreundet war und erst spät eine beachtete Autorin wurde. Ein sehenswerter Film über die Sehnsüchte einer Frau.

"Violette" im Kino: Rasende Selbstzweifel einer Schriftstellerin
Foto: dpa, mjh sab

Einmal läuft Violette Leduc neben der Frau, die sie liebt und verehrt, durch Paris. Es ist dunkel, Simone de Beauvoir eilt mit energischen Schritten voran, während Violette ihr Leben beklagt, zornig, selbstmitleidig, wortreich.

Sie ist verzweifelt, weil ihre Bücher nicht gelesen werden, weil ihre Liebe nicht erwidert wird, weil die Einsamkeit sie in den Wahnsinn treibt. "Schreib!", ruft Simone de Beauvoir da auf einmal. Sie glaube nicht mehr daran, antwortet Violette. Da stoppt Simone de Beauvoir ihren eiligen Gang und schleudert Violette ihr eigenes Bekenntnis zum Dasein als Autorin entgegen: dass sie durch das Schreiben einen anderen Blick auf sich selbst gewinnen könne. Dass Schreiben beim Leben helfe - und beim Überleben.

In den Pariser Zirkel um die Existenzialisten Albert Camus und Simone de Beauvoir führt der französische Regisseur Martin Provost mit seinem biografischen Film "Violette". Allerdings betritt er diesen Zirkel von der Seite, über eine Nebenfigur, die heute in Deutschland nur noch wenig bekannte Violette Leduc.

Die wurde 1907 als uneheliches Kind eines Stubenmädchens geboren. Der Vater, ein wohlhabender Bourgeois, erkannte das Kind nicht an, so erlebte Violette eine Kindheit unter ärmlichen Bedingungen, wurde von der Gesellschaft als Bastard behandelt und empfand sich bald selbst so - zeitlebens haderte sie mit ihrer vermeintlichen Hässlichkeit, fühlte sich wenig liebenswert.

Manchmal machen solche Leiden einen Menschen zum Künstler. Violette Leduc hat sich ihr Leben lang nach Liebe und Anerkennung gesehnt. Und sie hat darüber geschrieben. So ehrlich und kompromisslos, dass ihre autobiografischen Romane teils nur zensiert erschienen. Genau diese Radikalität war es aber, die Violette Leduc interessant machte für die Frauenrechtlerin Simone de Bauvoir. Sie unterstützte die unbekanntere Kollegin moralisch wie finanziell. Schließlich hatte sie in Leduc eine Frau gefunden, die unverstellt über ihre Sexualität und ihre Unterdrückung schrieb. Die also beglaubigte, was Simone de Beauvoir in ihren theoretischen Schriften analysierte.

Leduc aber wollte mehr von der großen Zeitgenossin. Sie wollte nicht nur gefördert, in den schlechten Jahren am Leben gehalten werden. Sie wollte Anerkennung nicht nur wegen ihrer radikalen Schriften, sondern um ihrer selbst willen. Sie wollte Liebe von der Beauvoir. Diese Zuneigung aber wurde ihr verweigert. Die Beauvoir wurde nur ihre Gönnerin.

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Und so schrieb Violette weiter. Sie schrieb über ihre Jugend, in der sie in Internate verschoben wurde und sich unglücklich in Mitschülerinnen, eine Lehrerin verliebte. Sie verpatzte das Abitur, wurde Sekretärin. In den 30er Jahren lernte sie den Schriftsteller Maurice Sachs kennen, der später mit den Nazis kollaborieren sollte. Er animierte Violette zum Schreiben. Über die Ehe, die sie später eingehen sollte, über eine Abtreibung, über das Gefühl, eine Ausgestoßene zu sein, eine Bastardin. So nannte sie den Roman, der sie schließlich berühmt machen sollte.

Emmanuelle Devos spielt diese Frau mit großer Kraft und Impulsivität. Sie versucht, aus Violette keine gefällige Figur zu machen, mit der man ausschließlich Mitleid hätte. Bei Devos ist Violette auch hysterisch, weinerlich, fordernd, undankbar, eine Künstlerin mit Allüren und viel Temperament, das Ausdruck tiefster Verletzungen ist. Diese Wesenszüge machen die Darstellung spannend, auch weil Devos eine Figur sogar in den Wahnsinn gleiten lassen kann, ohne dass das überspannt oder gekünstelt wirkte.

Die Hauptdarstellerin hält die Aufmerksamkeit wach an einem extremen Lebensweg, den Provost in Kapiteln erzählt, ohne ihn in Episoden zerfasern zu lassen. Das hätte zwar auch etwas straffer gelingen können, doch hat es auch seinen Reiz, sich in die Epoche dieser Autorin gleiten zu lassen. Schließlich hat sie zu einer Zeit autobiografische Bekenntnisse abgelegt, als allein die Tatsache, dass eine Frau über ihre Sexualität schreibt, einem Skandal gleichkam.

Doch "Violette" ist nicht nur ein Biopic über eine Schriftstellerin, die mit den Mitteln der Literatur für die Sache der Frauen kämpfte. Es ist auch ein Film darüber, was es kostet, Künstler zu sein. Violette Leduc ist daran fast zerbrochen. Und hatte doch nie eine andere Wahl.

(RP)
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