Roland Emmerich "Ich hab' noch nie so viel Häme geerntet"

Düsseldorf · Eigentlich ist Roland Emmerich Weltuntergangs-Spezialist. Doch sein neuer Film erzählt vom Kampf der Homosexuellen gegen Diskriminierung in den USA. Gerade aus schwul-lesbischen Kreisen gab es allerdings viel Kritik an "Stonewall".

Roland Emmerichs neuer Film "Stonewall" erzählt von den schwul-lesbischen Aufständen in der New Yorker Christopher Street 1969. Die historischen Ereignisse, an die jedes Jahr durch den Christopher-Street-Day (CSD) erinnert wird, werden aus der Sicht eines jungen Mannes geschildert, der aus der Provinz nach New York kommt und von Jeremy Irvine gespielt wird.

Mit Todd Haynes "Carol" und Tom Hoppers "The Danish Girl" kommen in den nächsten Monaten zwei weitere Filme ins Kino, die schwul-lesbische und Transgender-Themen für ein breites Mainstream-Publikum aufbereiten. Woher kommt diese plötzliche Offenheit?

Emmerich Hollywood ist heute generell viel offener gegenüber schwul-lesbischen Themen. In den 50er und 60er Jahren gab es allenfalls Anspielungen, die in Subplots versteckt wurden. Im neuen "Independence Day" wird es ein schwules Paar geben, ohne dass auch nur einer ein Wort darüber verliert. Das Studio hat da zu keiner Zeit irgendwelche Bedenken geäußert.

Das wäre beim ersten "Independence Day" 1996 noch nicht möglich gewesen?

emmerich Da war es ja noch fast ein Skandal, dass einer der Piloten, die die Welt retten, ein Afroamerikaner war.

In Texas dürfen Homosexuelle mittlerweile heiraten. In Deutschland müssen sie sich mit einer eingetragenen Lebenspartnerschaft abfinden.

emmerich Das ist ein absolutes Armutszeugnis für die deutsche Gesellschaft. Aber auf der anderen Seite muss ich sagen, dass Deutschland sich in der Flüchtlingsfrage sehr gut verhalten hat. Da habe ich mich für die USA geschämt, die nun nicht einmal 10.000 syrische Flüchtlinge aufnehmen wollen.

Wann sind Sie zum ersten Mal bei einem CSD-Marsch mitgegangen?

Emmerich Da war ich 28 und gerade in Amerika. Inzwischen schaue ich da nur noch kurz vorbei, um zu sehen, wen man so kennt. Eine Zeit lang habe ich mit meinem guten Freund Bryan Singer große CSD-Parties geschmissen. Bei der letzten waren fast 1200 Leute auf meinem Grundstück. Danach habe ich gesagt: Jetzt ist Schluss.

"Stonewall" zeigt, dass Obdachlosigkeit früher oft Homosexuelle getroffen hat. Wie ist das heute in den USA?

Emmerich Im Internet wird eine sexuelle Offenheit suggeriert, die nicht überall in Amerika dem Bewusstseinsstand der Gesellschaft entspricht. Junge Schwule und Lesben konfrontieren ihre Eltern heute sehr früh mit ihrer Sexualität. Sie zerstreiten sich mit ihren Eltern, die gerade in den ländlichen Regionen andere Pläne für ihre Kinder haben. Deshalb gibt es viele homosexuelle Jugendliche, die in die Städte flüchten, weil es dort mehr Toleranz und eine schwul-lesbische Community gibt. In Los Angelas sind 40 Prozent der jugendlichen Obdachlosen homosexuell. Viele müssen ihren Körper verkaufen, um über die Runden zu kommen.

Sie mussten in den USA gerade aus der schwul-lesbischen Community harte Kritik für den Film einstecken.

emmerich Als der Trailer herauskam, haben sich ein paar Blogger geärgert, dass es ein Weißer ist, der den ersten Stein wirft. Da wurde dann nur auf der Basis des Trailers zum Boykott aufgerufen. Das hat mich und meine Freunde schon sehr schockiert. Auch als der Film dann tatsächlich herauskam und man sehr wohl sehen konnte, dass hier ein vielfältiges Bild schwul-lesbischen Lebens gezeigt wird, hat sich kaum einer für den Film eingesetzt. Ich habe noch nie so viel Häme für einen meiner Filme geerntet und das besonders von den schwul-lesbischen Kritikern in den amerikanischen Zeitungen. Das kränkt einen schon. Aber das zeigt, wie unsere Medienlandschaft heute strukturiert ist. Da schreibt jemand etwas auf einer uninformierten Basis. Das vervielfältigt sich im Internet und alle rennen wie die Lemminge hinterher. Wenn der Film dann rauskommt und anders ist als erwartet, hat keiner den Mut von seinem vorschnellen Urteil zurückzutreten.

Ist "Stonewall" auch ein Versuch vom Image des Katastrophenfilm-Regisseurs wegzukommen?

Emmerich Das Image ärgert mich schon manchmal, zumal ja auch ein Katastrophenfilm ohne interessante Charaktere nicht funktioniert. Es macht mir sehr viel mehr Spaß, kleinere Projekte zu drehen. Bei einem 200-Millionen-Dollar-Budget stehen auch Arbeitsplätze auf dem Spiel, wenn der Film floppt. Da steht man ganz schön unter Druck. Dennoch liebe ich prinzipiell alle meine Filme. Ich will mich nur nicht auf ein Genre reduzieren lassen.

(RP)
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