Spielfilm "Selma" kommt in die Kinos Martin Luther King — Freiheitskämpfer und Ehebrecher

Düsseldorf · Martin Luther King als Kinoheld: Das packende Rassismusdrama "Selma" ist für den Oscar nominiert. Chronologisch erzählt werden die Ereignisse von Januar bis März 1965, in denen King und seine Mitstreiter ihre Bemühungen auf die Kleinstadt Selma im Bundesstaat Alabama konzentrieren.

Die Frau möchte sich zur Wahl registrieren lassen, doch sie ist schwarz und der Regierungsbeamte weiß. Das Dokument sei diesmal korrekt ausgefüllt, versichert sie, aber er entgegnet, dass allein er das zu entscheiden habe. Sie solle die Präambel der Verfassung aufsagen. Das gehört zwar nicht in diesen Verwaltungsakt, dennoch spricht sie den Text. Sie solle die Zahl der Amtsrichter in Alabama nennen, fordert er, und sie spuckt ihm eine "67" vor die Füße. "Zählen Sie sie auf", zischt er. Aber sie kann es nicht, sie ist verzweifelt, und sie schweigt. Dann knallt der Stempel auf das Dokument: "Abgelehnt".

"Selma" heißt der Film, der so beginnt, und er erzählt aus dem Jahr 1965, das noch gar nicht lange zurückliegt und doch so weit entfernt zu sein scheint von unseren Vorstellungen von Menschlichkeit und Gleichheit. Schwarze in südlichen US-Staaten durften damals entweder gar nicht wählen oder nur dann, wenn sie einen weißen Bürgen fanden, wenn sie Geld zahlten und ihre Namen in der Zeitung veröffentlichen ließen, damit Arbeitgeber vor Unruhestiftern gewarnt waren.

Die Regisseurin inszeniert mit Leidenschaft

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Martin Luther King kämpfte gegen diese Missstände, er steht im Mittelpunkt dieses Films, und er hat soeben den Friedensnobelpreis für seine gewaltlose Führung der Bürgerrechtsbewegung bekommen. Der Zuschauer begegnet ihm im Weißen Haus. King ringt mit Präsident Lyndon B. Johnson um das Wahlgesetz für Schwarze, aber Johnson sperrt sich dagegen. Also lässt King seine Anhänger von Selma in Alabama nach Montgomery, der Hauptstadt des Staates, marschieren. Es soll ein Protestzug der Schande werden, eine öffentliche Anklage, friedliche Gegenwehr.

Regisseurin Ava DuVernay inszeniert mit Leidenschaft, das ist ein kraftvoller und engagierter Film, der als aussichtsreicher Kandidat für den Oscar gilt. Auch wenn er an manchen Stellen historisch ungenau sein könnte. In den USA hat sich ein früherer Berater des Präsidenten gemeldet und beklagt, dass Johnson sich anders verhalten habe als dargestellt.

Er sei auf Kings Seite gewesen, habe nur ein anderes Timing bevorzugt. Die Debatte läuft, aber sie ist nicht entscheidend, denn natürlich ist das keine Geschichtsdoku, sondern ein Film, der aufrütteln soll, mahnen will und Vergangenheit und Gegenwart verknüpft: Verhalten wir uns richtig? Sind wir wirklich so viel reifer, als wir es vor 50 Jahren waren? Oder gibt es auch heute Ressentiment und Ungleichheit?

Oyelowo spielt King mit großer Ruhe

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DuVernay ist in den Dialogen mitunter etwas textlastig und allzu deutlich —vielleicht, weil sie nicht aus Original-Reden Kings zitieren durfte. Die Rechte dafür liegen bei Steven Spielberg, also schrieb DuVernay eigene Ansprachen im Stile Kings. Aber DuVernay hat das Talent, Szenen so zuzuspitzen, dass man sich getroffen fühlt, dass man ins Nachdenken gerät über die Notwendigkeit von Unverbrüchlichkeit und zivilem Ungehorsam.

Zudem hat DuVernay in David Oyelowo den perfekten Hauptdarsteller gefunden — unbegreiflich, dass die Oscar-Jury ihn überging. Der Brite spielt Martin Luther King mit großer Ruhe. Er ist nicht daran interessiert, die historische Figur als reinen Menschen darzustellen. King hadert, er geht fremd, und der Streit mit seiner Ehefrau ist ein Leitmotiv des Films. King ist ein Held, aber kein Heiliger. In Momenten größter Anfechtung ruft er die Gospelsängerin Mahalia Jackson an und lässt sich Lieder über Gott vorsingen. Er ist sich selbst ein Rätsel, er grübelt, und bisweilen fühlt man sich an Shakespeares Könige erinnert, derart niedergedrückt vom Dasein ist dieser Mann.

Der Marsch von Selma am 7. März 1965 gilt vielen als letztes Kapitel des amerikanischen Bürgerkriegs. Es wird "Bloody Sunday" genannt, weil Polizisten mit Peitschen, Gewehren und Schlagstöcken auf die Demonstranten losgingen. Die Bilder wurden landesweit im Fernsehen ausgestrahlt, und die öffentliche Empörung brachte Präsident Johnson schließlich dazu, das Wahlgesetz zu verabschieden.

Es geht gut aus. Und doch verlässt man das Kino beklommen. So ist das bei Historienfilmen, deren Themen nach wie vor aktuell sind.

(hol)
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