Film-Kritik Sommer vorm Balkon: Berlin sucht noch

Es ist Sommer, Berlin wartet auf neue Abenteurer, alles könnte so schön sein. Doch wer alleinerziehend ist und einen Job sucht oder einen hat, der einem den letzten Nerv raubt, hat's schwer. In Andreas Dresens neuem Film allerdings lassen sich zwei Frauen Mitte Dreißig am Prenzlauer Berg nicht unterkriegen. Kathrin und Nike trotzen den Widrigkeiten des Lebens, und schließlich ist da noch der schöne Balkon....

Sommer vorm Balkon
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Foto: X-Verleih

Die beiden Frauen wohnen auf verschiedenen Etagen eines renovierungsbedürftigen Altbaus am Prenzlauer Berg. Nike ist stolze Besitzerin des schönen Titel-Balkons und hat einen stressigen Beruf - sie arbeitet als mobile Altenpflegerin. Kathrin erzieht ihr Kind allein und ist arbeitslos. Die hübschen Nachbarinnen sind aber vital genug, um noch auf eine bessere Perspektive zu hoffen.

Was daraus wird, zeigt Andreas Dresen in seinem neuen Film "Sommer vorm Balkon", der ganz unsommerlich am 5. Januar in den Kinos anläuft. Besser könnte der deutsche Film nicht ins neue Kinojahr starten als mit diesem liebevoll inszenierten und hervorragend gespielten Frauendrama eines Regisseurs, der sich in jedem seiner Werke der Realität unseres Landes zuwendet und zum Chronisten dieser Jahre zu werden verspricht. Allerdings darf gerade bei "Sommer vorm Balkon" nicht der entscheidende Anteil von Wolfgang Kohlhaase verschwiegen werden.

Kohlhaase war einst der herausragende Drehbuchautor der DDR, der unter anderem die Vorlage zu dem auch im Westen erfolgreichen Film "Solo Sunny" verfasste. Für Dresen war die erste Zusammenarbeit mit dem wesentlich älteren Kohlhaase ein Glücksfall: "Er gehört zu den besten Drehbuchautoren, dessen Bücher von einer großen Erfahrung beim Erzählen getragen werden." Von dieser Erfahrung und bewundernswerter Einfühlsamkeit in die handelnden Figuren profitiert der Film ungemein. Es ist eine Geschichte über Einsamkeit und soziale Kälte in der Großstadt, zugleich ist es auch eine unaufdringliche Studie über Freundschaft und der Suche nach Liebe.

Nadja Uhl in ihrer besten Rolle

Kathrin ist geschieden, der 13-jährige Sohn Max lebt bei ihr. Die von Inka Friedrich sehr glaubwürdig verkörperte Frau würde gerne einen netten Mann kennen lernen, doch noch wichtiger für sie wäre ein neues Arbeitsverhältnis. Beides zu bekommen erweist sich als schwierig. Zu schwierig für Kathrin, die sich mit dramatischen Folgen immer öfter in Alkohol flüchtet. Die blonde Hausnachbarin Nike nimmt das Leben leichter. Sie hat zwar keinen Traumjob, doch auch unter Termindruck gibt sie den vereinsamten Alten, die sie als Mitarbeiterin eines privaten Pflegedienstes aufsucht, mehr Zeit und Zuwendung, als in den Vorschriften vorgesehen ist.

Und in Sachen Liebe und Sex handelt sie unkomplizierter als Kathrin. Nike ist es dann auch, die mit dem Lastwagenfahrer Ronald, der von dem hageren Andreas Schmidt amüsant als selbstgefälliger Proll-Casanova dargestellt wird, ein Verhältnis anfängt. Es ist oft zum Lachen, aber nie lächerlich, wie dieses Paar miteinander umgeht. Dresen gibt seinen Schauspielern viel Freiheit, die sie auch vorzüglich zu nutzen wissen. Nadja Uhl als Nike ist ihrer bislang besten Rolle zu sehen, die etwas weniger bekannte Inka Friedrich als Kathrin ist ihr ebenbürtig.

"Sommer vorm Balkon" ist mit wenig Aufwand, aber viel Gespür für die Realitäten ein Kinojuwel, das hoffentlich viele Besucher zum Glänzen bringen. Solche Filme braucht das Land, von Andreas Dresen kann man noch weitere erhoffen. Nach dem Überraschungserfolg mit "Halbe Treppe" und dem im Kino leider viel zu wenig beachteten Drama "Willenbrock" ist "Sommer vorm Balkon" Dresens beste und reifste Arbeit für die Leinwand.

(ap)
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