Filmstart "Peggy Guggenheim" Wie Peggy Guggenheim außergewöhnlich wurde

Düsseldorf · Für ihre Doku hat Filmemacherin Lisa Immordino Vreeland alte Tonaufnahmen der Mäzenin ausgegraben. Entstanden ist ein sehenswertes Werk über eine Frau voller Leidenschaften.

Wie Peggy Guggenheim außergewöhnlich wurde: Kinostart
Foto: dpa, hjb

Die Tonbänder rauschen wie bei einem schlecht eingestellten Radio. Es ist diese kratzige, vom Leben scharf geschliffene Stimme, die einen bannt. 1979 gab Peggy Guggenheim, die große amerikanische Kunstmäzenin des 20. Jahrhunderts, einer Biographin eine Reihe von Interviews. Es war mehr eine Abrechnung mit dem eigenen Leben. Die 81-jährige sagt dort Sätze, die sich einem in die Haut graben wie Eissplitter. "Wie meine Mutter war? Damals gab es keine guten Mütter." Oder einmal, auf den Punkt: "Mein Leben drehte sich immer nur um die Kunst und die Liebe".

Guggenheim starb nur Monate später, die Aufnahmen wurden vergessen. Als die Dokumentarfilmerin Lisa Immordino Vreeland ("Diana Vreeland") mitten in der Recherche für "Peggy Guggenheim" steckte, stieß sie zufällig darauf. Nun ziehen diese Tonbänder sich als roter Faden durch den Film. Ein akustischer Puls, schwer von Geschichte und der Wucht einer Persönlichkeit.

Die Tragödien der Guggenheims erinnern an den Kennedyfluch, und wie bei den Kennedys beginnt alles als Märchen. Porträtfotos in Sepiatönen, vergilbte Formulare und alte Briefe erzählen von der reichen Unternehmerfamilie, die wie Könige an der Fifth Avenue lebt mit Kutschen und Kindermädchen. Die kleine Peggy findet schnell ihre Rolle als enfant terrible. Sie spielt sie, als der Vater mit der Titanic untergeht, die Mutter das Vermögen verplempert. Sie perfektioniert sie als junge Frau, als sie nach Paris geht, um mit Kunst zu handeln und die Familie zu schockieren.

Vreeland hat ihre Hausaufgaben gemacht, sie hat in den Archiven gegraben, Weggefährten und Freunde vor die Kamera geholt, damit die sich erinnern. Im Original untertitelt sie ihren Film mit "An Art Addict", der Zusatz beschreibt viel genauer, was Kunst für Peggy Guggenheim eigentlich war. Es entsteht das Bild einer wenig sympathischen, aber faszinierenden Machtperson. Guggenheim war kunsthistorische Autodidaktin, sie konnte nicht malen, litt unter ihrem unscheinbaren Äußeren und einer missglückten Nasen-OP. Aber sie hatte Ehrgeiz. Den schieren Willen, außergewöhnlich zu werden.

"Meine größte Leistung ist die Entdeckung von Jackson Pollock. Meine Kunstsammlung ist meine zweite große Tat", knarzt die Stimme vom Band einmal, Befriedigung schwingt darin mit. Das Ego einer Frau, die lernte, wie man eine Welt von Männern dirigiert. Selbstbewusst erzählt Guggenheim, wie sie mit vielen ihrer Künstler im Bett landete, mit Samuel Beckett einmal vier Tage am Stück. James Joyce und Pablo Picasso gingen bei ihr ein und aus, mit Ezra Pound spielte sie Tennis. Eine Frau, die Männer und Kunst sammelte wie Trophäen.

Vreeland verwebt den Erfolg der öffentlichen Guggenheim mit dem Schicksal der privaten, widmet sich dem Ehefiasko mit Max Ernst, dem Tod der Schwester, dem Selbstmord der Tochter. Mit der Zeit werden aus den Archivfotos Videos. Doch Guggenheim bleibt dieselbe: Eine Radikale, die ihren eigenen Regeln folgte, lange bevor Frauen so etwas taten. Am Ende kann man Peggy Guggenheim vielleicht nicht lieben, dafür besser verstehen. Bewundern muss man sie ohnehin.

(RP)
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