Film-Kritik Willenbrock: Talfahrt eines Wendegewinners

Gute Literatur lässt sich in herausragendes Kino verwandeln. Das beweist Andreas Dresen mit seinem neuen Film "Willenbrock" nach dem Roman von Christoph Hein. In 108 spannenden Minuten begegnen die Zuschauer Bernd Willenbrock - einem Mann, der es geschafft hat. Der wohlhabende Magdeburger Gebrauchtwagenhändler ist ein selbstbewusster Wendegewinner. Er hat eine nette Frau - und mehr.

Willenbrock
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Foto: Delphi

Zu seinem großen Selbstbewusstsein tragen nicht nur pikante außereheliche Affären bei, sondern das immer wieder bestätigte Gefühl, alles und alle im Griff zu haben. Aber gerade solche sich allmächtig dünkenden Menschen sind in großer Absturzgefahr, wenn plötzlich gewohnte Sicherheiten wanken. Willenbrock kommt in eine Lebenskrise, die sich unspektakulär ankündigt, einen dramatischen Höhepunkt hat und schließlich seine ganze Existenz in Frage stellt. Sehr geduldig und sensibel, aber mit unbeirrbarer Konsequenz zeigt der Film, wie ein Mann durchs Feuer geht und sich dabei verbrennt.

In Axel Prahl hat Dresen für die Titelfigur den idealen Schauspieler gefunden. Schon in Dresens hintergründiger Komödie "Halbe Treppe", die ebenfalls in Ostdeutschland spielte, war Prahl als betrogener Ehemann die herausragende Figur. Inzwischen ist der dynamische Holsteiner ein begehrter Fernsehstar geworden. Im Gegensatz zu anderen dieser Zunft kann der körperlich kleine, dabei aber wuchtig und im besten Sinne volkstümlich wirkende Prahl seine wahre Stärke erst auf der großen Leinwand demonstrieren, nämlich die Intensität und Präsenz seiner Menschendarstellung.

Ohne politische Zeigefinger-Pädagogik

Prahl macht diesen Willenbrock zu einer glaubwürdigen Figur und damit den Film in jeder Sekunde sehenswert. Er agiert allerdings auch in einem Team von Schauspielern, die ohne Ausnahme ihre Rollen ausfüllen mit dem Willen zum realistischen, übertriebene Theatralik vermeidenden Spiel. Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil alle drei weiblichen Hauptdarsteller klangvolle Namen auf deutschen Bühnen haben: Inka Friedrich als Willenbrocks Ehefrau Susanne gibt ihr eindrucksvolles Kinodebüt, Anna Ratte-Polle als junge Geliebte Anna und Dagmar Manzel als ältere Geliebte Vera sind ebenfalls mit von der Partie.

Es ist die Kunst Dresens, mit "Willenbrock" ohne politische Zeigefinger-Pädagogik zugleich einen Film über einen verunsicherten Mann wie auch über ein verunsichertes Land und seine brüchig gewordene Gesellschaft geschaffen zu haben. Vielleicht wird gerade "Willenbrock" in kommenden Jahrzehnten einmal zur Anschauung dafür herangezogen, wie es 2005 zuging in Deutschland. Zur Realistik trägt entscheidend die Ortswahl von Dresens Filmen bei: War es bei "Halbe Treppe" der schmucklose Grenzort Frankfurt/Oder, so ist es nun die Peripherie von Magdeburg an der Elbe, einer von Bombenkrieg und DDR-Zeit arg geschundenen Stadt.

In "Willenbrock" erreicht Dresen ein neues Niveau, das ihn unter den deutschen Filmemachern dieser Zeit ganz nach vorn rückt. Erstmals zeigt der Regisseur auch eine optisch ausgefeilte Arbeit, die Kameraführung bei der finalen Szene des Dramas ist außergewöhnlich, aber nicht allein dort. Von jetzt an muss jedem weiteren Film von Andreas Dresen größte Aufmerksamkeit gewiss sein. Und hoffentlich sind in diesen künftigen Produktionen noch oft Axel Prahl und Inka Friedrich in tragenden Rollen zu sehen. Der deutsche Film braucht mehr als Bully- Herbig-Klamotten.

(ap)
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