X-Men: Apokalypse Der Krieg der Comic-Helden geht weiter

Im Universum der Superhelden-Comics und ihrer filmischen Wiedergänger gehörten die "X-Men" stets zu den politisch inspirierteren Genrewerken. Die Geschichte der Mutanten, die um Identität und gesellschaftliche Anerkennung ringen, war eng mit der Historie des 20.Jahrhunderts verknüpft.

 Michael Fassbender verkörpert wieder den Bösewicht Magneto.

Michael Fassbender verkörpert wieder den Bösewicht Magneto.

Foto: 20th Century Fox

Zweiter Weltkrieg, Kubakrise und Vietnamkrieg bildeten das zeitpolitische Hintergrundrauschen der letzten beiden "X-Men"-Filme. In dem Kampf der mutierten Helden um Gleichberechtigung spiegelten sich die Bürgerrechts- und Emanzipationsbewegungen der sechziger Jahre. Als allegorische Reflexion sinnierten die Filme über die Angst vor dem Andersartigen und die Folgen von Rassismus.

Dabei wurde auch immer wieder der Holocaust als Referenzpunkt aufgegriffen. So sind es die Erfahrungen des Konzentrationslagers, die Magneto als eine der Zentralfiguren zu einem verbitterten und kompromisslosen Verteidiger der Mutanten gemacht haben, der den Glauben an eine friedliche Koexistenz mit den Menschen verloren hat.

In Bryan Singers neuer Folge "X-Men: Apokalypse" findet sich Magneto (Michael Fassbender) vierzig Jahre nach dem Holocaust am Ort des Grauens wieder. Vor ihm liegen die Blöcke und Krematorien von Auschwitz, wo seine Eltern zusammen mit zahllosen anderen Mutanten ermordet wurden. Mit der Erinnerung kocht die Wut in ihm hoch und mithilfe seiner übernatürlichen Kräfte reißt er das ganze Konzentrationslager nieder.

Auschwitz liegt in Schutt und Asche — ein starkes, unfassbares und sehr gewagtes Bild, das Singer hier als cineastische Fantasie entwirft, ähnlich wie das erfolgreiche Hitler-Attentat, das Quentin Tarantino in "Inglourious Besterds" in Szene gesetzt hat.

Aber es funktioniert, weil die Sequenz nicht nur nach dem spektakulären Effekt schielt, sondern in die Komplexität der Figur eingebunden ist. Denn Magnetos Zerstörungswut ist auch ein Akt des Vergessenwollens. Aber wer die Vergangenheit nicht (mehr) kennt, ist bekanntlich verdammt sie zu wiederholen — und darum geht es auch in "X-Men: Apokalypse". Denn Magneto, die große, tragische Figur im X-Men-Universum, verfällt selbst den Anziehungskräften totalitärer Machtfantasien und lässt sich von einem gottgleichen Führer unter Vertrag nehmen.

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Foto: afp, CARL COURT

Apokalypse (Oscar Isaac) nennt sich der Mächtigste aller Mutanten, der als gnadenloser Herrscher im alten Ägypten regierte und nun nach fünftausendjährigem Koma wiederaufersteht. Was er im Jahre 1983 vorfindet, gefällt dem antiken Despoten gar nicht: Nicht die Starken haben das Sagen in dieser Welt, sondern die Schwachen, die durch Gesetze geschützt werden und per Wahlrecht mitbestimmen.

Ein radikaler Wertewandel kann hier nur — nomen est omen — durch eine fachgerechte Apokalypse herbeigeführt werden. "Ich werde euch befreien" sagt der selbsternannte Führer, der mit einem gelangweilt hochgezogenem Mundwinkel seine Gegner zu Staub zerfallen lassen kann, zu seinen Mutanten-Anhängern. Und die Versuchung, die eigenen übernatürlichen Fähigkeiten endlich unkontrolliert einsetzen zu können, ist für die Gedemütigten sehr groß.

Auf der anderen Seite des moralischen Spektrums steht natürlich Professor Charles Xavier (James McAvoy), der in seiner "Schule für Hochbegabte" weiterhin für die Utopie des friedlichen Zusammenlebens von Mutanten und Normalmenschen eintritt. Aber auch er muss einsehen, dass man diesem Gegner mit Appeasement-Politik nicht beikommt.

Seine Schüler Nightcrawler (Kodi Smit-McPhee), Cyclops (Tye Sheridan), Havok (Alex Summers), die Telepatin Jean Grey (Sophie Turner), der externe Quereinsteiger Quicksilver (Evan Peters) und die kampferfahrene Mystique (Jennifer Lawrence) müssen ihre verschiedenen Fähigkeiten mit kollektiver Kraft zur Anwendung bringen, um den erstarkenden Weltzerstörer zu besiegen. Im Gegensatz zu den multiheroischen Spektakeln "Batman vs Superman" und "First Avenger", die sich in den letzten Kinowochen auf der Leinwand ausagiert haben, wird das finale Kräftemessen zwischen Gut und Böse hier nicht allein im ermüdenden Gefechtsmodus ausgetragen, sondern vor allem als telepathischer und metaphorischer Kampf um die Herrschaft in den Köpfen der Menschen.

Auch in dieser "X-Men"-Folge beweist Bryan Singer, dass sich großes Blockbuster-Entertainment und intellektuelle Unterfütterung nicht widersprechen. Ob Holocaust, Kalter Krieg, atomares Wettrüsten oder Nahostkonflikt — immer wieder eröffnet der Film Assoziationsspielräume, in denen das Gesehene ins Außerfilmische weitergedacht werden kann, ohne die Unterhaltungsoberfläche zu beschädigen.

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