Neuverfilmung Das ist der neue Tarzan

Düsseldorf · Er ist ein Superheld aus eigenen Kräften, versöhnt tierische mit menschlichen Qualitäten. So überwindet Tarzan die größte Schwäche des Menschen: die Entfremdung von der Natur.

 Der Schwede Alexander Skarsgard musste für seine Hauptrolle fleißig trainieren.

Der Schwede Alexander Skarsgard musste für seine Hauptrolle fleißig trainieren.

Foto: dpa, sup skm bsc

Aaaaahh uohuohouhouh Aaaahh! An Lianen durch den Urwald fliegen, schwindelfrei in die höchsten Baumwipfel klettern, die Zeichen der Natur lesen und die Sprache der Tiere verstehen — Tarzan ist der Grüne unter den Superhelden. Er lebt als Ur-Bewohner des Dschungels, versöhnt tierische Fähigkeiten mit menschlichem Verstand.

Er ist also ein Held, der seine Überkräfte nicht irgendwelchen Superwaffen oder Spezialausrüstungen verdankt, sondern aus sich selbst schöpft. Das macht ihn attraktiv. Natürlich möchte man sein wie Tarzan.
Der Typ hat einfach viel gelernt in der Schule des Dschungels, hat Anlagen ausgebildet, die der zivilisierte Mensch verkümmern lässt, hat sich abgehärtet, seinen Körper gestählt. Das liegt im Trend.

Und so ist in der neuen Verfilmung, "Legend Of Tarzan", die am Donnerstag in die Kinos kommt, auch ein Hauptdarsteller zu bewundern, der sich beachtliche Muskelpakete zugelegt hat. Der Schwede Alexander Skarsgard war schon als Wikinger-Vampir in der HBO-Serie "True Blood" überzeugend. Nun spielt er den neuen Tarzan als scheuen, noblen Fitnessmann, der es als Adliger im Land seiner Eltern, dem britischen Königreich, zu einigem Ansehen gebracht hat.

Das Schicksal der Sklaven in Afrika lässt ihn in seine eigentliche Heimat, den Dschungel, zurückkehren, und Jane, seine Gattin, die unbekümmerte Cheerleader-Schönheit Margot Robbie. darf mit. Skarsgards Tarzan ist kein wilder Mensch mehr, kein sprachloser Naiver, wie er zu Kolonialzeiten in Zoos ausgestellt wurde, sondern ein moderner Grenzgänger zwischen den Welten. Flexibel, politisch korrekt, maskulin, aber kein Macho.

Den potenten Körper verbirgt er unter samtener Robe, solange er in London diplomatische Teekränzchen besucht. Eigentlich will er mit Jane eine Familie gründen. Doch kaum ist er in der Steppe, kuschen selbst die Raubkatzen. Dieser Tarzan ist kein Naturbursche im Lendenschurz, sondern ein Diplomat, der sich direkt aus dem Fitnessstudio in den Dschungel schwingt.

Schon früher verkörperte Tarzan die athletischen Ideale seiner Zeit. Schließlich war es ein Leistungsschwimmer, der in der berühmtesten Tarzanverfilmung aus dem Jahr 1932 den Wilden spielt. Johnny Weißmüller, der in die USA ausgewanderte Banater-Schwabe, war der erste, der die 100 Meter unter einer Minute schwamm. Er hatte ein entsprechendes Kreuz und prächtige Oberarme, man traute ihm die Lianenflüge zu. Dazu hatte er aus der Heimat seiner Eltern das Jodeln mitgebracht. So konnte er jenen Urwaldruf ausstoßen, der bis heute Tarzans Erkennungsmerkmal ist.

Auch im aktuellen Film ist der sich überschlagende Laut zu hören, wenn auch erst spät. Und natürlich wird er ironisch kommentiert vom Berufsbösewicht Christoph Waltz, der den kolonialen Ausbeuter gibt, Tarzans Gegenspieler. Bewusst wird er als ein sportlich Untauglicher in Szene gesetzt. Gleich zu Beginn gerät er mit den verängstigten Truppen des belgischen Königs in eine Schlacht gegen stolze afrikanische Krieger. Er duckt sich nur, verkriecht sich unter den Schilden gefallener Soldaten, überlasst das Kämpfen den anderen. Der Ausbeuter aus Europa gibt eine jämmerlicher Figur ab, ist eine miese Kröte im Dreck.

Tarzan dagegen gehören die Lüfte. Und es steckt in seinen rasanten Schwüngen von Wipfel zu Wipfel der Traum vom Fliegen, die Vorstellung, man müsse die Evolution nur ein wenig zurückdrehen, den Menschen wieder ein wenig mehr zum Affen machen, mit längeren Armen, härterem Griff, geschickteren Fußklauen, dann gehörten ihm auch die Baumkronen und die Bergwelt. Dann wäre der Mensch nicht nur das Superhirn, das sich die Schöpfung mittels seiner Intelligenz untertan gemacht hat, sondern er wäre auch wieder überlebensfähiger Teil dieser Schöpfung. Denn eine Stärke dieses Tarzan ist ja auch, dass er die größte Kränkung des modernen Menschen überwindet: die Entfremdung von der Natur.

Schließlich ist das der Preis, den der Homo Sapiens für seine technische Überlegenheit, seinen Erfindergeist, für all den Komfort seines Alltags zahlt: Er ist vertrieben aus der paradiesischen Einheit mit dem Kreatürlichen, er hat sich zurückgezogen in asphaltierte Städte, in denen die Gefahren beherrschbar scheinen. In Kleidung aus intelligenten Textilien, hochgerüstet mit allerhand ultraleichtem Zubehör unternimmt er gelegentlich Ausflüge "zurück in die Natur".

Dann erklimmt er Gipfel oder testet, wie lange er sich im Wald von Ameisen ernähren kann. Doch die Natur ist immer der Gegner. Sie ist die unwirtliche Umgebung, die der Mensch bezwingen, überlisten, mit seiner Geistesgabe beherrschen muss. Das Intuitive scheint verloren. Es braucht also die Kunst, die Macht der Fiktion, das Bildmedium Kino, um den Menschen wieder mit der Natur zu versöhnen.

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Foto: 20th Century Fox

Natürlich bleibt das eine Illusion. Genau wie der ideale Naturzustand, zu dem man sich zurücksehnen könnte. Diese Vorstellung wurde ja in jenen Epochen bedeutsam, in denen der Mensch die Kehrseiten des Fortschritts, etwa die Folgen der Industrialisierung spürte. Da wuchs die Sehnsucht nach Idylle. Zugleich war da immer die Ahnung, dass der Naturzustand die Hölle sein könnte, weil der Mensch ohne zivile Zähmung dem Menschen Wolf ist. Schließlich handelt er sich mit dem Bewusstsein für die eigene Existenz auch das Wissen um seine Endlichkeit ein.

Das macht lebenshungrig — und womöglich wenig interessiert am Wohl des Nächsten.
Tarzan will davon nichts wissen. Allein unter Affen erweist er sich als Anpassungskünstler, findet eine Ersatzmutter, holt sich die Liebe, die er braucht, um kein Kaspar Hauser zu werden, kein gestörtes Wolfskind, das an Zuwendungsmangel leidet. Der amerikanische Populärschriftsteller Edgar Rice Burroughs, der Tarzan 1912 erfand, ließ ihn zwar die Tauglichkeit von Waffen entdecken, machte ihn so zum Rudelführer, doch spätestens als er Jane begegnet, zeigt sich, dass er die besten Seiten des Menschseins in der Wildnis bewahrt hat. Ich Tarzan, Du Jane — mehr braucht es nicht, um Fürsorgetauglichkeit zu erklären.

Geschichten von Menschen, die der Wildnis ausgesetzt sind, erscheinen also auch deswegen so reizvoll, weil sie Erkenntnis darüber versprechen, wie der Mensch, dieses denkende, ach so verletzliche Geschöpf wirklich ist. Ob seine Veranlagung sein Wesen ausmacht oder seine Sozialisation. Diese Fragen reichen bis in die Debatten von heute über Gentechnik und den Beginn menschlichen Lebens.

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Foto: Screenshot/Disney

Wie gern lässt man sich also bis heute erzählen, dass der Mensch doch gut ist. Dass aus Findelkindern im Dschungel süße Mowglis oder starke Tarzans werden, die von den Tieren lernen, irgendwann entdecken, dass sie Menschen sind und dann human handeln: lieben und Verantwortung übernehmen für Mensch, Tier, Natur. Auch der neue Tarzan ist so eine makellose Figur. Und natürlich ist das langweilig. Für einen wahrhaftigeren Tarzan aber scheint die Zeit noch nicht reif.

(dok)
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