Grandiose Verfilmung des Romans "Die Wand" Martina Gedeck kämpft gegen Isolation

Düsseldorf · Der Roman von Marlen Haushofer war Kultbuch der Friedens- und Frauenrechtsbewegung. Jetzt hat der Österreicher Roman Pölsler daraus einen bemerkenswert unsentimentalen und doch ehrfürchtigen Naturfilm gemacht – mit einer herausragenden Martina Gedeck in der Hauptrolle.

Szenen aus dem Film "Die Wand"
7 Bilder

Szenen aus dem Film "Die Wand"

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Der Roman von Marlen Haushofer war Kultbuch der Friedens- und Frauenrechtsbewegung. Jetzt hat der Österreicher Roman Pölsler daraus einen bemerkenswert unsentimentalen und doch ehrfürchtigen Naturfilm gemacht — mit einer herausragenden Martina Gedeck in der Hauptrolle.

Eine Frau sitzt bei Dämmerlicht in einer Jagdhütte und schreibt. Sie hat Dreck unter den Fingernägeln, ihre Haare hängen wirr, und die Stube ist angefüllt mit Vorräten: Einmachgläsern, Kartoffeln, Brennholz. Dieses Jagdhaus ist keine rustikale Idylle, sondern ein Überlebenslager und die Schreiberin kein dichtender Schöngeist, sondern eine müde Kriegerin. Und so klingt auch die Stimme erschöpft, die uns von nun an erzählen wird, was die Frau in winzigen Zeilen auf ein paar vergilbte Zettel und Kalenderblätter notiert: ihr eigenes Schicksal. Dialoge wird es nicht geben in diesem Film, denn die Frau ist vollkommen allein. Sie schreibt gegen die totale Isolation, erzählt von sich, um nicht wahnsinnig zu werden.

Ein so einfaches wie brutales Experiment spielt die österreichische Autorin Marlen Haushofer in ihrem Roman "Die Wand" durch. Was, wenn eine Frau für ein Wochenende in die Berge führe und bei einem Spaziergang plötzlich vor eine unsichtbare Wand liefe, die sie weiträumig umgibt? Jenseits der Wand sind alle Lebewesen erstarrt. Die Frau kann mit niemandem Kontakt aufnehmen, aus ihrem Radio dringt nur ein Summen. Ohne sich erklären zu können, was vorgefallen ist, beginnt sie, für ein Leben in totaler Abgeschiedenheit vorzusorgen. Sie legt einen Kartoffelacker an, erntet Obst, fällt Holz, geht ab und an zur Jagd. Ihre einzigen Gefährten sind ein Jagdhund, eine Kuh, eine Katze.

Haushofers apokalyptische Geschichte erzählt von einem modernen Robinson Crusoe. Nur ist der gestrandete Mensch hinter der durchsichtigen Mauer eine Frau, und ihr Schicksal ist kein Seefahrerunglück, sondern ein rätselhafter Gau, ein merkwürdiger Kollaps, dessen Ursache wie bei einer Nuklearkatastrophe unsichtbar bleibt. Als das Buch 1963 erschien, waren die Menschen noch nicht friedens- oder frauenrechtsbewegt. Marlen Haushofer, die 1970 im Alter von 50 Jahren starb, erlebte den Erfolg nicht mehr. Der sollte sich erst in den 80er Jahren einstellen, "Die Wand" wurde zum dystopischen Kultbuch der "Atomkraft: Nein-Danke!"-Generation. An die Verfilmung wagte sich dennoch niemand. Wer sollte schon einen inneren Monolog in Szene setzen wollen — ein Kammerspiel mit nur einer Figur, die nicht spricht?

Der österreichische Regisseur Roman Pölsler hat es nun gewagt. 20 Jahre hat er auf die Rechte an dem Buch gewartet, sieben Jahre am Drehbuch geschrieben und sich einen Hund angeschafft. Der ist nun im Film der einzige Halt für die verlassene Frau, ein Gegenüber, das sich instinktiv auf die neue Situation einstellt, keine Angst zeigt, aber Empathie. Man ist dankbar als Zuschauer, dass es in dieser Geschichte über das Ausgeliefertsein des Menschen in der Natur wenigstens dieses wachsame, leidensfähige Geschöpf gibt. Pölsler gelingt es in seiner bemerkenswerten Literaturverfilmung, Tiere und Natur ohne Sentimentalität, ohne Kitsch, doch mit größtmöglicher Einfühlung in Szene zu setzen. Da filmt einer mit Achtung, ja Demut vor der Natur, ohne sich süßlichen Illusionen über die Härten eines Überlebenskampfes in den Bergen hinzugeben. Pölsler nimmt sich Zeit, in die Landschaft zu schauen, Lichtveränderungen, Jahreszeiten wahrzunehmen. Und er unterlegt seine Bilder schlicht mit ein wenig Musik von Bach. Er muss nicht künstlich dramatisieren, die Geschichte ist ja schon schlimm genug.

Ein wirklicher Glücksfall für seine Arbeit ist dazu die Hauptdarstellerin: Martina Gedeck. Diese Schauspielerin kann ja beides — herb und verletzlich sein. In "Die Wand" ist sie eine kühle Städterin, die glaubhaft in der erzwungenen Rolle als Bäuerin und Jägerin besteht. Doch ihre Entwicklung ist kein glücklicher Bildungsgang, kein befreiendes Zurück zur Natur. Resigniert richtet sich eine Frau in widrigen Umständen ein, beobachtet, wie jede zivilisierte Weichheit von ihr abfällt. Gedeck hat die Stärke, das ohne Larmoyanz zu spielen. Sie behauptet sich, ist eine zähe Frau ohne Amazonengetue. Angst und Verzweiflung werden zu Leere in ihrem Blick, wenn sie an ihrer Berghütte sitzt und in die majestätische Kulisse blickt, die nicht mehr schön ist, wenn man den Anblick mit niemandem teilen kann.

Haushofers Roman ist lange als Zivilisationskritik in Zeiten des Kalten Krieges verstanden worden. Pölsler und Gedeck interessieren sich auch für gesellschaftskritische Lesart. Sie zeigen eine Frau, die sich hinter unsichtbaren Wänden einrichtet, das Gewehr immer in Greifweite. Die Angst des abgeschotteten Menschen wird auch in "Die Wand" in Aggression umschlagen. Man muss sich nicht vor der Atombombe fürchten, um Haushofers Parabel unserer Zeit bedrohlich zu finden.

(RP/csi)
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