Rassismus-Vorwürfe Wie weiß sind die Oscars?

Düsseldorf · In Hollywood tobt eine Rassismus-Debatte: Zum zweiten Mal in Folge wurde kein einziger schwarzer Darsteller für die Oscars nominiert. Jetzt geht ein Aufschrei durch die Filmbranche - und ein ganzes System gerät in die Kritik.

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Foto: dpa/Chris Pizzello

Es sei ein bisschen so, als würden Ärzte einem Patienten, der seit 80 Jahren an chronischen Kopfschmerzen leidet, Aspirin verschreiben, spotten Filmkritiker in den USA. Aber immerhin tut sich überhaupt etwas: Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences hat angekündigt, die Regeln zu verändern, nach denen über die Nominierungen für die Oscars entschieden wird.

Der Entscheidung ging ein heftiger Streit um die diesjährigen Oscar-Nominierungen voraus. Zum zweiten Mal in Folge ist kein schwarzer Darsteller bedacht worden, obwohl es etwa mit Samuel L. Jackson, der großartig aufspielt in "The Hateful 8", durchaus einen würdigen Kandidaten gegeben hätte. Perfide ist zudem, dass ein von Schwarzen dominierter Film wie "Straight Outta Compton" fürs Drehbuch nominiert wurde, das zwei Weiße geschrieben haben. George Clooney meldete sich also zu Wort, Matt Damon auch, und sie beklagten diese Entwicklung. Will Smith und seine Frau Jada Pinkett Smith sagten ihre Teilnahme an der Gala am 28. Februar ab, auch Regisseur Spike Lee will nicht kommen. Unter dem Hashtag #OscarsSoWhite fand der Zorn ein Ventil im Internet.

In Hollywood tobt eine Rassismus-Debatte, und es gibt Hinweise dafür, dass es dabei nicht so sehr um die Oscars geht, denn die Mitglieder der Academy sitzen auf der Spitze eines Eisbergs. Das eigentliche Problem liegt tiefer. Es gibt in den großen Studios keinen schwarzen Executive, Producer oder Agenten von Rang. Das heißt, dass nur weiße Entscheider Themen kaufen, in Auftrag geben und Filme finanzieren. Stoffe, die ein schwarzes Publikum ansprechen, werden nur ausnahmsweise filmreif. Schwarze genießen auch selten Zugang zur Academy, können für ihre Werke kaum werben. So kommt es zu Desastern wie jüngst im Falle des Films "Gods Of Egypt" aus den Lionsgate-Studios. Er wurde ausschließlich mit weißen Darstellern besetzt, obwohl er in Ägypten spielt. Nach einem Sturm der Entrüstung entschuldigte sich Regisseur Alex Proyas: "Wir sind unseren eigenen Ansprüchen nicht gerecht geworden", räumte er ein.

Der Schauspieler und Komiker Chris Rock hat im vergangenen Jahr einen lesenswerten Essay im "Hollywood Reporter" veröffentlicht. Der zentrale Satze des hellsichtigen Textes lautet: "Es ist eine weiße Industrie." Rock ist der Moderator der anstehenden Oscar-Gala, und man hat ihn aufgefordert, das Ereignis zu boykottieren. Er hat das abgelehnt. Er werde in seinen Moderationen Bezug nehmen auf das Dilemma, kündigt er ab. Wegbleiben bringe nichts, lieber versucht er den Apparat von innen heraus zu verändern.

Die Diskussion über die weißgewaschenen Oscars begannen bereits im vergangenen Jahr, als der Film "Selma" über die Protestmärsche Martin Luther Kings als bester Film zwar nominiert wurde, sein großartiger Hauptdarsteller David Oyelowo und Regisseurin Ava DuVernay aber leer ausgingen. Damals rechnete das Magazin "Economist" vor, dass seit dem Jahr 2000 zehn Prozent der Darsteller-Oscars an Schwarze gingen, was den schwarzen Bevölkerungsanteil von zwölf Prozent einigermaßen repräsentiere. Aber: Schwarze Schauspieler wurden bei den Oscars zumeist für Opferrollen geehrt, als Diener oder Sklaven. Der 2014 ausgezeichnete Film "12 Years A Slave" ist ein Beispiel. Die schwarze Hauptfigur ist ein Geschundener, Brad Pitt hingegen der strahlende Held. Nur bei neun Prozent der 600 Top-Filme wurden Hauptrollen an Schwarze vergeben. Und: Bis in die 90er Jahre hinein wurde die Farbabstimmung des meistverwendeten Filmmaterials für weiße Haut optimiert.

Der Diskriminierungsprozess ist offenbar ein struktureller, davon erzählen auch Sachbücher, die 2015 in den USA erfolgreich waren. Der neue Darling der US-Intelligenz, Ta-Nehisi Coates, schreibt in "Between The World And Me" einen Brief an seinen 14 Jahre alten Sohn und versichert, dass es nicht an ihm liege, wenn er und seine Freunde wie so viele Menschen gleicher Hautfarbe in bestürzend schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen leben müssten. Es liege daran, dass die Spielregeln unfair seien. Ähnliches liest man in den Büchern "Negroland" von Margo Jefferson und "Citizen" von Claudia Rankine.

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Foto: AP/Melinda Sue Gordon

Dabei hat sich - von den Oscars größtenteils unbeachtet - in der Amtszeit Barack Obamas durchaus einiges getan. "Selma"-Regisseurin Ava DuVernay sagte in einem Interview, Filme wie "The Butler", "The Help" oder ihr eigener seien zuvor möglicherweise gar nicht oder doch sicher viel schwerer zu verwirklichen gewesen. Und: Der wahrscheinlich erfolgreichste Film aller Zeiten, die siebte "Star Wars"-Lieferung nämlich, hat als Haupthelden einen Schwarzen und eine Frau.

So könnte der Ausspruch des Rappers Ice Cube, auf dessen Wirken mit der HipHop-Band N.W.A. der Filmhit "Straight Outta Compton" beruht, der Academy ebenso wehtun wie der Rassismus-Vorwurf: Wer von denen, die Filme mögen, interessiert sich für die Oscars? Passend dazu wird vielerorts genüsslich der Brief des Meisterregisseurs Ingmar Bergman aus dem Jahr 1960 zitiert. Darin bat er die Academy, ihn künftig mit Nominierungen zu verschonen: "Ich halte die Nominierung in Bezug auf Filmkunst für eine erniedrigende Institution."

Gerechtigkeit steht auf den Spiel, aber auch Relevanz - und dass die Academy beides verteidigen möchte, deutet die Entscheidung an, die Statuten zu ändern. Das Ziel muss sein, dass die Jury hervorragende Leistungen wahrnimmt, auch wenn sie außerhalb des Erwarteten und der eigenen Lebenswelt liegen. Eine Quote würde nichts nützen, es geht ums Augenöffnen.

Angekündigt hat die kleine Revolution in der Academy übrigens die Präsidentin der Organisation, Cheryl Boone Isaacs, die selbst Afroamerikanerin ist. Für dieses Jahr bringt es nichts. Aber auf die Oscars 2017 darf man gespannt sein.

(hols)
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