Dokumentarfilm "Red Army" Kalter Krieg auf dem Eis

Sie machen sich nichts aus Eishockey? Ganz egal. Die Dokumentation "Red Army" erzählt packend und visuell aufregend eine wahre Fabel von Vaterlandsliebe, Freundschaft und Verrat vor dem Hintergrund des Kalten Krieges. Unbedingt sehenswert.

Dokumentarfilm "Red Army": Kalter Krieg auf dem Eis
Foto: Gabriel Polsky Productions

"7 Mal WM-Gold" erscheint in weißer Schrift auf dem Bildschirm und lenkt ab von Slawa Fetissow ab, der vor laufender Kamera mürrisch auf seinem Handy herumtippt, anstatt den Fragen des Interviewers zu lauschen, geschweige denn zu antworten. Und kaum hat man sich gefragt, warum die Buchstaben so klein sind, folgen in immer schnellerer Abfolge 32 weitere Arten von Titeln und Auszeichnungen, die der Verteidiger oft mehrfach gewonnen hat: "2 Mal Olympia-Gold" beispielsweise, "14 Mal Sowjetischer Eishockey-Meister", "Lenin-Orden" und so weiter und so weiter.

Dann wird die Liste ausgeblendet, ein 34. Maß für seinen Legendenstatus erscheint: "Der Asteroid Nr. 8806 wurde auf ,Fetissow‘ getauft" — und Fetissow streckt seinen Mittelfinger in die Kamera.

Schließlich beginnt er doch zu erzählen, abgehackt, genervt. Er sei Jahrgang 1958. Seine Familie lebte mit zwei anderen auf 40 Quadratmetern. In seiner Kindheit sei der Zweiten Weltkrieg noch allgegenwärtig gewesen, der 20 Millionen seiner Landsleute das Leben gekostet hatte. "Aber ich war ein glückliches Kind", sagt er. "Ich spielte ja Eishockey." Ab hier erwärmt sich seine Stimme — und die Zuschauer sich für ihn.

Ein Mix aus dramatischer Biographie, Sport und Politik

Fetissow wird Kapitän des russischen Vorzeigeklubs ZSKA Moskau und der damit quasi identischen sowjetischen Nationalmannschaft. Er führt seine Mannschaften zu Olympia-Gold 1984 und 1988, zwischendurch und davor und danach gewinnen sie Europapokal-Endspiele, Sowjet- und Weltmeisterschaften und alles andere, was es zu gewinnen gibt.

Aber wie.

Beschattet vom KGB. Einer der Agenten plaudert vor der Kamera darüber. Seine Enkelin tanzt ihm während des Interviews auf der Nase herum, was das Pärchen auf eine gespenstische Weise wirken lässt wie den Killer Mike Ehrmantraut aus "Breaking Bad" und dessen Enkelin.

Als der tadellose Patriot Fetissow zum Ende seiner Karriere in den USA und Kanada spielen will, wird er vom Volkshelden ansatzlos zum Volksverräter degradiert. Sein bester Freund verrät ihn, der Verteidigungsminister droht, ihn nach Sibirien zu verbannen.

Man mag nicht fassen, dass das Märchen von Slawa Fetissow wahr ist.

Propaganda als skurriles Begleitmaterial

Schließlich doch im Land der unbgerenzten Möglichkeiten angekommen, erwarteten ihn Klischees, Rassismus, Mobbing — die jahrzehntelange Propaganda auch von US-Seite zeigte ihre Wirkung.

Diese Propagandaschlacht macht Regisseur Gabe Polsky in Filmen, Musik- und Tonschnipseln und teils auch glänzend animierten Plakaten deutlich. Degradiert zu skurrilem Begleitmaterial untermalt all das die Interviews im Wechsel mit Spielszenen, welche den Zuschauer auch die eigenen Vorurteile hinterfragen lassen: Die im "Kollektiv" gewachsenen Strukturen, so viel wird auch dem Eishockey-Laien deutlich, erlaubte erst den Freiraum für Improvisation, Eleganz, ja, sportliche Magie.

Zum Schluss schlägt der Film einen kritischen Bogen in die Gegenwart — zum Russland unter Putins Herrschaft und Fetissows Rolle darin.

"Ich wollte keine Doku über Sport oder Politik oder so etwas Begrenztes machen", sagt Regisseur Gabe Polsky. "Sondern etwas Emotionales." Gelungen ist ihm alles auf einmal.

(tojo)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort