Kult-Regisseur über "The Hateful 8" Warum Samuel L. Jackson in so vielen Tarantino-Filmen mitspielt

Berlin · Er ist Hollywoods Enfant terrible, Filmgott und ein lebendes Filmlexikon zugleich. Kult-Regisseur Quentin Tarantino feierte die Deutschlandpremiere seines neuen Westerns "The Hateful 8" in Berlin. Die Spannung war groß.

Quentin Tarantino bei der Premiere von "The Hateful 8" in Berlin.

Quentin Tarantino bei der Premiere von "The Hateful 8" in Berlin.

Foto: ap

Nachdem der 53-jährige Filmemacher Opfer von "Skriptleaks" geworden war —- das Drehbuch zu seinem achten Film war vorab veröffentlicht worden — hatte Tarantino das Projekt erst völlig gecancelt, dann doch wieder aufgenommen. Sogar Bundestrainer Jogi Löw tauchte unerwartet im "Ritz Carlton" am Potsdamer Platz auf und fragte höflich, ob er bei der Pressekonferenz zusehen dürfte, als Tarantino-Fan... - Er durfte.

Die Show überließ der Bundes-Jogi dann aber doch dem Hollywood-Besuch. Quentin Tarantino erschien zuerst mitsamt seinen Stars Kurt Russell und Jennifer Jason Leigh in einer Pressekonferenz und dann allein zum Interview. Hustend, in eine dicke schwarze Sweatshirtjacke gehüllt, antwortete er zuerst auf unsere Fragen.

Mister Tarantino, Ihr Kollege Chan-wook Park, berühmt und berüchtigt für Rachefilme, sagte mal: "Rache ist das Dümmste, was der Menschheit je einfiel." Seine Filme sollen die Sinnlosigkeit des Racheprinzips darstellen. Was ist Ihr Motiv?

Tarantino Rache im echten Leben ist…- was immer es ist. Vielleicht sogar dumm. Aber in Filmen ist Rache toll! Nichts packt mich so sehr, wie wenn die Figuren, mit denen man mitfühlt, schließlich Genugtuung bekommen. Das ist befriedigend. Früher sind mir Filme um Rache nicht weit genug gegangen, meistens machten sich die Filmemacher ins Hemd beim Gedanken um Moral und so. Ich scheiß' auf all das.

Sie haben eine ziemlichen Ritt hinter sich: Erst annullierten Sie "The Hateful 8", dann drehte Sie doch. Dann musste Sie in Colorado wochenlang erst auf Schnee warten, bis der sich dann in Massen entlud. Wie würden Sie Ihr Filmabenteuer resümieren?

Tarantino Es gab ein paar Schwierigkeiten, das fing an mit "Skriptleaks" und endete damit, dass wir wegen des Schnees einen Monat länger in Colorado blieben. Aber all das machte den Film 15 mal besser! Für mich ist "The Hateful 8" trotzdem keine Serie aus Pannen — wir bekamen ja sogar unsere Schnee, und das en masse. Wenn ich meine Schauspieler selbständig agieren sah, fühlte ich mich, als sei ich der erste, sehr glückliche Zuschauer dieses Films. Ich hatte hier so viel Spaß wie schon seit "Kill Bill" nicht mehr.

Sie erfreuen sich also am Resultat dieser Verkettungen?

Tarantino Ja. Während des Countdowns zum Jahreswechsel dachte ich: "Das war ein großartiges Jahr für mich - ich habe im Januar den Dreh von "The Hateful 8" begonnen, habe ihn auf 70 mm gedreht und ihn das erste Mal im The Alamo in Texas auf einer 70 MM-tauglichen Leinwand gesehen - und feiere jetzt Neujahr mit einem fertigen Film in der Tasche." Ich erinnere mich nach einem Dreh nur noch an die guten Dinge, die passiert sind.

Sie hatten "The Hateful 8" längst begraben. Was hat Sie bewegt, es wiederzubeleben? Die triumphale Lesung Ihres Skrips mit sechs Mitgliedern des jetziges Casts im April 2014 im Ace Hotel Theater in L.A.? Wo Sie die Regieanweisungen im Cowboyoutfit vorlasen?

Tarantino Erstens war es natürlich sehr ermutigend, dass die 1.600 Personen dort so enthusiastisch waren. Dabei war es ja so gut wie nicht inszeniert. Kurt Russell, Samuel L. Jackson, Tim Roth und die anderen saßen meist nur auf ihrem Stuhl und trugen ihren Text vor. Schon während der Proben in den drei Tagen davor war mir's so gut wie klar, dass wir den Film doch drehen.

Und zweitens?

Tarantino Zweitens hatte ich mich irgendwann auch wieder beruhigt. (grinst)

Verstehen Sie als Movie-Junkie, warum Fans sich auf Ihren Film freuen, sich selbst aber die Überraschung zerstören, indem sie eine Vorabversion des Drehbuchs veröffentlichen?

Tarantino Auch meine früheren Drehbücher waren vorab im Internet zu lesen. Bei "Django" kursierte das Skript schon eineinhalb Jahre vor Filmstart im Netz. Eigentlich macht mir das nichts aus. Ich bin wirklich stolz auf meine Drehbücher und möchte sogar, dass sie von anderen gelesen werden. Selbst, wenn man nur das Skript lesen möchte anstatt den Film zu sehen, habe ich damit kein Problem.

Was war es denn dann?

Tarantino Bei "The Hateful 8" wollte ich zum ersten Mal anders vorgehen: Statt wie bei einem Roman eine Version bis zum Ende zu entwickeln, wollte ich drei verschiedene Versionen schreiben, um die Geschichte mehrfach zu erzählen. Im Netz landete die erste Version und damit ein unvollständiger Ansatz dessen, was mir künstlerisch vorschwebte. Ich saß gerade an der zweiten Version und empfand das als krassen Angriff auf den künstlerischen Prozess.

Ihr Film wurde für drei Oscars nominiert, für die beste weibliche Nebenrolle, Kamera und Filmmusik. Wie stehen Sie dem Boykott-Denken von Will Smith und Spike Lee gegenüber?

Tarantino Ich würde mich dazu gern kurz fassen, damit wir wieder über den Film reden können: Wenn ich nominiert wäre, würde ich hingehen.

Und wie ist Ihre Haltung zum gegenwärtigen Streit um "die Farbe der Oscars"?

Tarantino Ich habe dazu eigentlich keine Meinung. Ich wurde nicht nominiert, Mann! Also ist es mir verdammt egal, was die da so treiben! (lacht)

Ein Samuel L. Jackson hat schon in vier Ihrer Filme mitgespielt. Ist Ihnen das Thema Rassismus ein Anliegen?

Tarantino Natürlich ist es das. Sonst würde ich es nicht in fast jedem Film thematisieren.

Wieso wollten Sie "The Hateful 8" unbedingt im fast vergessenen 70 mm-Format drehen, mit Objektiven, die schon bei "Ben Hur" zum Einsatz kamen?

Tarantino Erstens, weil ich einfach die Möglichkeit dazu hatte. Dem Verleih fordert es schon einiges ab, den Film dann entsprechend herauszubringen, da gehört schon größere Hingabe dazu. Außerdem wollte ich dem Publikum das Format noch einmal vorführen, solange es dies überhaupt noch gibt. Dadurch war es mir möglich, längere Einstellungen zu drehen und die öden Westernlandschaften und Schneewüsten imposanter einzufangen.

Sie wollten also einfach sehen, wie weit ein Tarantino gehen kann?

Tarantino Ich beschreite einen Weg und weiß natürlich nicht, inwieweit mir die Leute folgen. Ich wollte, dass ein Kinobesuch zu einem echten Ereignis wird, so als würde man in der Oper Placido Domingo sehen oder Al Pacino auf der Bühne. Wenn meine Fans meinen Film als besondere Veranstaltung zelebrieren und dafür etwas mehr Geld ausgeben, dann ist das mir gegenüber eine besondere Geste. Das sind meine echten Fans!

Wenn Sie voller Leidenschaft für das Medium Film sind, warum wollen Sie dann aufhören?

Tarantino Ich bin ein Künstler, der ein Filmwerk erschaffen möchte, das hoffentlich aus lauter Klassikern besteht. Ich will nicht einfach nur Karriere machen — meine Filme sollen über die Jahre hinaus künstlerisch herausragen! Das ist mein künstlerischer Dialog mit der Geschichte des Films, mein Beitrag zur Filmhistorie. Wenn das vollbracht ist, mache ich mich daran, Bücher übers Kino zu schreiben oder Theaterstücke, die ich auch inszeniere. Ich tendiere eh stark zum Literarischen. Außerdem brauche ich für die Realisierung eines Films je drei Jahre. Für zwei Filme gehen also noch sechs Jahre ins Land. Vielleicht habe ich dann mit meinen Filmen gar keinen Platz mehr in der herrschenden Kulturlandschaft.

Sind Sie gerne zurück in Berlin? Was ist für Sie das Besondere hier — die "Anker-Klause"?

Tarantino Ich liebe Berlin! In dieser Stadt kann man unendlich viel Spaß haben — und das mit der Entschuldigung, hier einen Film zu drehen. Ich habe in der Zeit, in der ich hier gearbeitet und in meinem geliebten Kreuzberg gewohnt habe, auch einige Freunde gefunden. Ich freue mich, an meinem freien Tag meinen Bars und Stammrestaurants einen Besuch abzustatten und die deutsche Filmcrew von "Basterds" auf unserer Premierenparty heute Abend wiederzusehen. Ich habe in Berlin für meine eigenen Erinnerungen, Freundschaften und Eskapaden gesorgt.

Würden Sie hier wieder drehen wollen?

Tarantino Sofort. In Babelsberg wurde ja sogar eine Straße nach mir benannt.

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