"A Beautiful Day" "Taxi Driver" für die Gegenwart

In dem Thriller "A Beautiful Day" glänzt Joaquin Phoenix als Kriegsveteran.

 Joaquin Phoenix als Joe und Ekaterina Samsonov als Nina in einer Szene des Films "A beautiful Day".

Joaquin Phoenix als Joe und Ekaterina Samsonov als Nina in einer Szene des Films "A beautiful Day".

Foto: dpa, cse sab

Joe ist Söldner und Spezialist für Kindesentführungen. Der alternde Mann hat im Krieg erlebt, wie Kinder einander wegen eines Schokoriegels töten. Als FBI-Agent hat er ebenfalls mehr als genug Kinderleichen für ein Menschenleben gesehen. In seinem dritten Berufsleben nun tötet er Männer und rettet Kinder. Immer wieder kämpft er so gegen die Ur-Szene seines Lebens an: den Missbrauch durch den eigenen Vater. Diesen verstörten Veteran verkörpert Charakterdarsteller Joaquin Phoenix ("Walk the Line") in dem sehenswerten Rachethriller "A Beautiful Day".

Ein New Yorker Senator engagiert Joe, weil seine minderjährige Tochter Nina von einem Pädophilen-Ring gefangen gehalten wird. Joe schlägt routiniert zu und hinterlässt beinahe keine Zeugen. Doch nachdem er die apathische Nina huckepack aus dem Schlachthaus getragen hat, werden beide von Killerkommandos in Empfang genommen statt von Ninas Vater.

Phoenix bekam für das stille bis gewalttätige Leiden des Söldners mit moralischem Kompass 2017 auf dem Filmfestival in Cannes den Preis als bester Schauspieler. Die schottische Independent-Filmemacherin Lynne Ramsay ("We Need To Talk About Kevin") hatte beim Schreiben wohl schon Phoenix vor Augen - sie erhielt in Cannes den Drehbuch-Preis.

Farbsatte, unmittelbar wirkende New-York-Aufnahmen, der brutale Selbstjustiz-Feldzug eines traumatisierten Veteranen - viele Cineasten fühlen sich da an Martin Scorseses Klassiker "Taxi Driver" aus den 1970er Jahren mit Robert De Niro erinnert. Dessen Eröffnungsfahrt durch die Stadt wird in Ramsays Film auch zitiert. Naheliegend, ihn als "Taxi Driver des 21. Jahrhunderts zu vermarkten.

Dieses Etikett ist allerdings irreführend. "A Beautiful Day" ist nämlich etwas sehr Eigenes. Ein Film, der sich Zeit nimmt und soghafte Bilder setzt, um sinnlich zu überwältigen. Szenen großer Hektik und großer Ruhe reichern das düstere Szenario an und stiften eine starke Empfindungsbreite.

Die Sets sind bevölkert von absichtsvollen Details und von Figuren, die ein Eigenleben haben, auch wenn sie nicht lange zu leben haben. Etwa der angeschossene Handlanger, der einen alten Radioschlager mitsingt, während er stirbt. Oder Joes Mutter, die leicht dement ist und sich anders als der sie pflegende Sohn überaus schalkhaft zeigt.

Joe stolpert dabei durch Großstadtverkehr, durch mitgehörte Gespräche aus anderen Leben und unversehens einer Gruppe ausgelassener Asiatinnen in die Arme. Sie bitten Joe, ein Foto von ihnen zu machen. Schon für diese scheinbar zufälligen, für sich stehenden Seitengeschichten lohnt sich dieser Film. Und für den Soundtrack des Radiohead-Gitarristen Jonny Greenwood.

Bei Joes Tötungshandwerk und dem Thema Kindesmissbrauch wird "A Beautiful Day" dagegen ungewöhnlich diskret. Hier wird nicht alles ausbuchstabiert; das ist erfreulich unzeitgemäß. Man muss aufpassen, denn vieles Wesentliche steht still im Hintergrund oder steckt im Schnitt zwischen zwei Einstellungen. Die Handlung scheint fast nebensächlich. Aber das macht überhaupt nichts: Selbst wenn einen Missbrauchs- und Rachegeschichten nicht interessieren, kann man "A Beautiful Day" mit Gewinn schauen.

A Beautiful Day, Großbritannien 2017 - Regie: Lynne Ramsay, mit Joaquin Phoenix, Ekaterina Samsonov, 90 Min.

(dpa)
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