Er starb im Alter von 72 Jahren Trauer um den großen Schauspieler Otto Sander

Berlin · Nicht nur seine sonore Stimme bleibt in Erinnerung, auch im Theater und im Fernsehen hatte sich Otto Sander einen Namen gemacht.

Unter allen Künsten ist die Musik diejenige, die unmittelbar in die Seele dringt – dann folgt sogleich der Umgang mit der menschlichen Stimme und mit dem Körper. Daraus erwachsen Charaktere, die uns, das Publikum, so anrühren können, dass wir zuweilen erschaudern angesichts der Wahrheit, die uns da entgegenblitzt. Nicht jeder Schauspieler beherrscht sein Metier so, dass der Funke überspringt. Otto Sander, der gestern 72-jährig in Berlin gestorben ist, war einer der wenigen im deutschen Sprachraum, die das Kunststück immer wieder zuwege brachten – als Schauspieler und als Rezitator, auf der Bühne und selbst im Fernsehkrimi.

In einer Zeit, in der Politiker immer häufiger die Notwendigkeit des städtisch oder staatlich finanzierten Theaters in Frage stellen, war Otto Sander ein schlagender Beweis dafür, dass wir auf diese Kunst nicht verzichten können, weil sie uns hilft, Menschen zu verstehen – auch uns selbst. Ein Blick auf Sanders Lebenslauf führt zurück in eine Zeit, in der das Theater in der Gesellschaft noch eine größere Rolle spielte als heute. Sander arbeitete mit Regisseuren wie Peter Stein, Robert Wilson und Klaus Michael Grüber zusammen und gehörte von 1970 bis 1979 dem Ensemble der Berliner Schaubühne an. Mit Edith Clever, Jutta Lampe und Bruno Ganz verbreitete er den Ruhm dieses Theaters weit über Deutschland hinaus. Shakespeare, Tschechow, Gorki – das war seine Welt. Begonnen hatte er seine Laufbahn 1966 in Düsseldorf – nicht am Schauspielhaus, sondern an den Kammerspielen.

Schon damals wurde einer wie Otto Sander irgendwann auch für diejenigen Medien entdeckt, welche die hohe Kunst des Darstellens zusätzlich denen zugänglich machen, die Scheu vor dem Theater haben: Film und Fernsehen. Mit Herbert Grönemeyer stand Sander für Wolfgang Petersens Film "Das Boot" vor der Kamera, als Engel trat er in Wim Wenders Filmen "Der Himmel über Berlin" und "In weiter Ferne, so nah" auf, in Volker Schlöndorffs "Blechtrommel" spielte er den ewig betrunkenen Trompeter Meyn.

Schon seit Ende der 70er Jahre hatte er ohne festes Engagement gearbeitet. In Berlin, Wien und Bochum war er immer wieder zu Gast, dort unter anderem als ein tragischer Hauptmann von Köpenick. Dem Fernsehpublikum prägte er sich besonders als Streckenwärter Lansky in der ARD-Krimiserie "Polizeiruf 110" ein.

Mit seiner sonoren Stimme wurde er nebenher zum berühmtesten Vorleser der Republik. Ob es darum ging, einen Audioguide für ein Museum zu besprechen, in Lesungen Mörike, Fontane oder Ringelnatz vorzutragen oder Texte für Hörbücher zu intonieren – Sander fühlte sich in jede Aufgabe ein. So sehr, dass man ihn "The Voice" nannte, die Stimme, die sich jeder darzustellenden Person anverwandelte.

Was aber war so einzigartig an seinem Spiel auf der Bühne und vor der Kamera und seinen Auftritten vor dem Mikrofon? Gerhard Stadelmaier, der langjährige Theaterkritiker der "Frankfurter Allgemeinen", befand in einer Würdigung zu Sanders 70. Geburtstag vor zwei Jahren: "Sein Terrain sind nicht die Täter, es sind die Außenseiter, die vom Rand her ins Zentrum hineinfunken. Er spielt nie die Ursächlichen. Er spielt Folgerungen. Er greift nicht zu. Er drückt aus." Und weiter: "Beckett liest er so mühelos, als musiziere er ihn mal eben vom Blatt." Mehr noch als jeder andere herausragende Schauspieler war Sander ein Minimalist. Kleinste Bewegungen reichten ihm, um ein hohes Maß an gestischer und mimischer Aussagekraft, an charakterlicher Tiefe zu erzielen. So erzog er sein Publikum dazu, stets genau hinzusehen.

Auch privat trat Otto Sander gern in der Öffentlichkeit auf. Mit seiner Ehefrau, der Schauspielerin Monika Hansen, spielte er jahrzehntelang eine Rolle im Berliner Gesellschaftsleben. Galas, Preisverleihungen und ein Stammplatz in der "Paris Bar" – das war ebenso Sanders Welt wie seine Arbeit als Schauspieler. Einmal erzählte er, dass seine Stimme auch seine Enkel beruhigte, die Kinder von Stieftochter Meret und Stiefsohn Ben Becker.
Vor sechs Jahren war bekannt geworden, dass Otto Sander an Kehlkopfkrebs litt. Jetzt hat die Krankheit ihn eingeholt. Ein Aushängeschild deutscher Kultur ist nur mehr Erinnerung. Zumindest diesem Mimen flicht die Nachwelt Kränze.

(dpa)
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