Zeitzeugen der 'Rosenstraße' 1943

Berlin (rpo). "Wahrscheinlich hatten wir innerlich Angst. Aber wir wollten Vater unbedingt wieder haben. Nichts anderes zählte." Gisela Mießner gehörte zu den Frauen, die ab Ende Februar 1943 in der Rosenstraße in Berlin länger als eine Woche öffentlich für die Freilassung jüdischer Inhaftierter demonstrierte.

<P>Berlin (rpo). "Wahrscheinlich hatten wir innerlich Angst. Aber wir wollten Vater unbedingt wieder haben. Nichts anderes zählte." Gisela Mießner gehörte zu den Frauen, die ab Ende Februar 1943 in der Rosenstraße in Berlin länger als eine Woche öffentlich für die Freilassung jüdischer Inhaftierter demonstrierte.

"Was hätte denn passieren sollen?", fragt die mittlerweile 78-Jährige noch heute sichtlich aufgewühlt. "Dann hätte uns die Gestapo eben auf Lastwagen aufgeladen und abtransportiert."

So weit kam es nicht. Ganz im Gegenteil: "Am 11. März wurde ich 18, einen Tag vorher war Vater wieder da", erinnert sich die evangelisch erzogene Mießner. Und auch die anderen der mehr als 1.000 Mitgefangenen waren nach und nach wieder frei gelassen worden. Die einzige Massendemonstration gegen die Judendeportation in Nazi-Deutschland endete erfolgreich.

"Vater war schwer krank, lag mit hohem Fieber im Bett und hatte Furunkel, als die Gestapo ihn von zu Hause abholte", erzählt Mießner. Das war am 27. Februar 1943, als in der von der Geheimpolizei so bezeichneten "Schlussaktion Berliner Juden" viele Juden verhaftet und in provisorische Sammellager gebracht wurden. Durch den jüdischen "Mundfunk" bekamen Mutter und Tochter mit, dass der Vater - ein im Ersten Weltkrieg hoch dekorierter deutscher Jude - in das als Lager umfunktionierte Jüdische Gemeindehaus in der Rosenstraße gebracht worden war. Hier wurden die Juden aus so genannten Mischehen inhaftiert.

Gleich am nächsten Morgen machten sich Mießner, ihr Verlobter, die christliche Mutter und die kleine Schwester auf den Weg in die Rosenstraße. Für den Vater hatten sie ein Bündel mit Lebensmitteln, Decken und Kleidung gepackt. "Es war kalt und es lag ein wenig Schnee. Schon von weitem hörten wir Rufe", erzählt Mießner. "Als wir ankamen, waren da schon viele Frauen. Sie riefen: 'Gebt uns unsere Männer raus! Gebt uns unsere Kinder raus!' Wir liefen vor dem Gebäude auf und ab, die SS und Polizei hielten sich sehr zurück." Gewehre habe sie nicht gesehen. Sogar das Bündel habe den Vater erreicht.

Bis es dunkel wurde, harrte die Familie aus. Immer wieder stießen Angehörige der Inhaftierten hinzu, andere gingen nach Hause, um zu essen, sich aufzuwärmen oder zu schlafen - ein ständiger Wechsel. Mießner selbst konnte in den folgenden Tagen nicht mehr hingehen, sie musste arbeiten. Mutter und Schwester setzten den Protest jedoch fort. Manches Mal seien vor dem provisorischen Lager, an dessen Platz seit sechs Jahren ein Denkmal an die Demonstration erinnert, mehrere hundert Menschen, vorwiegend Frauen, gewesen.

Als der Vater, der Getreidehändler Joseph Mannheim, dann endlich wieder zu Hause war, sah er sehr blass und elend aus: Er hatte miterleben müssen, dass seine hüftkranke Cousine von der Rosenstraße aus auf einen Todestransport musste. Über die Behandlung in dem Sammellager wollte er mit seiner Tochter jedoch nicht sprechen. "Er wollte uns nicht belasten."

"Sie nahmen meinen Vater mit und schossen ihn fast tot"

Die Geschichte Mannheims endete tragisch: Im Sommer 1944 überstand er einen weiteren Lageraufenthalt. Die letzten Kriegstage verbrachte die Familie versteckt in verschiedenen Bunkern. Ein verhafteter Bekannter der Familie verriet ihn Ende April 1945 der SS. "Sie nahmen meinen Vater mit und schossen ihn fast tot", sagt Mießner. Dann war die SS weg, der Vater lag blutend vor dem Bunker am Alexanderplatz. "Mutter tauschte Schmuck gegen einen Handwagen." Auf diesen wurde der sterbende Vater gelegt, die Familie zog von Krankenhaus zu Krankenhaus, auch eine Beinamputation half nicht mehr - der Vater starb 55-jährig am 13. Mai 1945.

Den Film "Rosenstraße" von Margarethe von Trotta, der am (kommenden) Donnerstag ins Kino kommt, hat Mießner in einer Voraufführung schon gesehen. Reingegangen sei sie mit der Prämisse, "Radau zu machen". Denn: "Solch ein Thema ist viel zu schade für eine Schnulze." Kaum lief der Film, liefen auch schon die Tränen der Rührung. "Manchmal dachte ich, nicht mehr im Kino zu sitzen, sondern in der Rosenstraße zu stehen", sagt Mießner. Die Liebesgeschichte drumherum sei zwar etwas kitschig. "Aber das muss wohl so sein, um auch Lieschen Müller klar zu machen, was passierte."

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