Wuppertal Flackernde Bilder vom Ersten Weltkrieg

Wuppertal · Unter dem Titel "Menschenschlachthaus" erinnert das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum an die Kämpfe zwischen Franzosen und Deutschen und das Leid, das daraus erwuchs – mit Werken von Beckmann und Dix, Bonnard und Léger.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren galt in Deutschland lange als abgeschlossenes Kapitel, als Thema des Geschichtsunterrichts, in Frankreich dagegen sind die blutigen Ereignisse von damals seit eh und je gegenwärtig. Nach wie vor melden Zeitungen hin und wieder die Entdeckung der sterblichen Überreste von Soldaten auf den einstigen Schlachtfeldern, und nach einer langen Zeit krampfhaften Vergessens ist der Erste Weltkrieg heute in französischen Familien wieder Gesprächsstoff.

Davon berichtete jetzt David Liot, Direktor des Museums der Schönen Künste in Reims. Mit seinem Kollegen vom Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum, Gerhard Finckh, hat er für beide Städte eine Ausstellung arrangiert, die in Anlehnung an den Titel eines bereits 1912 veröffentlichten, visionären Romans von Wilhelm Lamszus "Menschenschlachthaus" heißt. In Wuppertal ist die Schau von morgen an zu sehen: eine Ausstellung, in der die Kunst dokumentarische Aufgaben übernimmt und dabei von flackernden zeitgenössischen Filmen unterstützt wird.

Denkt man zurück an die Weltkriegs-Schau, mit der die Bonner Bundeskunsthalle Ende vorigen Jahres den Reigen der Gedenkveranstaltungen eröffnet hatte, so appelliert der Wuppertaler Zugriff auf das Thema erheblich mehr an Gefühle. Bonn beleuchtete "Die Avantgarden im Kampf" von einer hohen Warte mit herausragenden Leihgaben, Wuppertal beschränkt sich auf den Krieg zwischen Deutschland und Frankreich und baut fast ausschließlich auf Bestände der Museen in Wuppertal und Reims.

Künstlerisch bietet Wuppertal weniger als Bonn, atmosphärisch dagegen ist die Ausstellung im Bergischen der Bonner Vorgängerin weit überlegen. Das liegt an den Filmen, die – zum Glück in einer technisch bedingten Unschärfe – Schlachtszenen von damals zeigen. In einem der Räume befüllen die Franzosen ihre Kanonen mit Munition, daneben verrichten Deutsche die gleiche tödliche Arbeit.

Die Ausstellung ist materialreich, fast überladen. Wenn man am Ende des langen Rundgangs darüber sinniert, in welchen Objekten sich der Krieg am stärksten verdichtet hat, denkt man mehr als an Gert Wollheims expressionistischen blutenden und schreienden "Verwundeten" von 1919 an Otto Dix' schwarz-weiße Radierungen, denen der Künstler den schlichten Titel "Der Krieg" gab. In den 50 Blättern aus der Sammlung des Von-der-Heydt-Museums zeigt der Tod seine Fratze: Landschaften mit Granattrichtern, sterbende Soldaten in Schützengräben, Totenköpfe und Pferdekadaver.

Wie zuvor schon in Bonn begegnet man auch in Wuppertal Max Beckmanns "Selbstbildnis als Krankenpfleger" von 1915. Der Künstler findet sich auf einmal in einer neuen Rolle wieder und wirkt angesichts der Ereignisse tief verunsichert. Auch Otto Dix' "Selbstbildnis als Soldat" von 1914 zeigt einen Menschen im flackernden roten Licht einer neuen, schrecklichen Zeit.

Oskar Kokoschkas vermeintlich harmloses Selbstbildnis von 1917 schließlich ist nur dann verständlich, wenn man weiß, warum der Maler seine rechte Hand auf die Brust legt: nicht aus Stolz, sondern weil ihn an dieser Stelle die Klinge eines Bajonetts durchbohrt hat. "Ich flog durch die Luft. So einfach war es also zu sterben?", merkte er dazu an. Zum Glück waren ihm noch 63 weitere Jahre vergönnt.

Ein Saal ist vollständig mit Ansichten der stark beschädigten Kathedrale von Reims gefüllt – Reims, das als erste französische Großstadt 1914 dem Bombardement deutscher Truppen ausgesetzt war und das jahrhundertelang als Krönungsstätte der französischen Könige gedient hatte.

Die Schau klingt aus mit Bildern von Kriegskrüppeln, wie George Grosz sie in Szene setzte, und mit Ansichten von Soldatenfriedhöfen, darunter Félix Vallottons Soldatenfriedhof von Chalons-sur-Marne. Außerdem mit einer Nachkriegskunst, die nicht mehr unmittelbar mit dem Krieg befasst war, der aber der Schreck noch in den Gliedern steckte. Ob in Pierre Bonnards Interieur "Das Esszimmer" von 1925, in Fernand Légers "Drei Musikanten" von 1930 oder in Beckmanns "Selbstbildnis als Clown" von 1921 – nirgends wird gelacht. Der Krieg, so scheint es, hatte Frankreich wie Deutschland mit einem Trauerflor überzogen.

Wenn die Ausstellung im Herbst nach Reims übersiedelt, wird sie sich anders präsentieren als in Wuppertal. Unter dem Titel "Tage des Krieges, Tage des Friedens" soll sie stärker noch als die Wuppertaler Version der Frage nachspüren, wie es der Bevölkerung hinter den Frontlinien erging. Denn in Frankreich ist nichts vergessen.

(RP)
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