Punxsutawney Fluch der Unsterblichkeit

Punxsutawney · Morgen ist ein bemerkenswerter Feiertag: Mariä Lichtmeß heißt er bei uns und Murmeltiertag in den USA. Zwei Feste mit großen Botschaften.

Die einfachsten Geschichten sind ja meist die kompliziertesten. Wie die des TV-Wettermanns Phil, der mürrisch in ein lausiges Nest namens Punxsutawney irgendwo in Pennsylvania reist, um dort vom sogenannten Groundhog Day zu berichten, dem Murmeltiertag. Doch dann geschieht das Kuriose: Diesen Tag, den morgigen 2. Februar, muss er immer und immer wieder erleben. Er kann tun und lassen, was er will (sogar diverse und scheinbar geglückte Selbstmorde gehören dazu): Diesem Tag entkommt er nicht. Das erzählt uns die Filmgeschichte von "Und täglich grüßt das Murmeltier".

So weit, so lustig - aber auch so tragisch. Denn mit der ständigen Wiederkehr des Murmeltiertags ist die Zeit stehengeblieben; regelrecht eingefroren. Eigentlich schön, könnte man denken, und das denkt sich auch Phil. Schließlich altert er nicht, und was immer er auch anstellt, nichts hat Konsequenzen. Süße Unsterblichkeit. Und im Grunde göttlich. Genauso fühlt er sich.

Doch ist das auch menschlich? Bald stellen sich Stumpfsinn und Leere ein, auch mit der Liebe klappt es nicht. Nichts hat mehr Wert, alles wird beliebig, nirgendwo findet sich ein Anfang, nirgends ein Ende. Das ist der Fluch der Unsterblichkeit, dem Phil mit seinen zünftigen Selbstmorden - wie Gift, Todessprünge, Verkehrsunfälle - zu entkommen sucht. Vergeblich.

Sterben ist nie schön. Doch das Wissen um Sterblichkeit ist ein Segen. Denn dem Tod haben wir viel zu verdanken, er ist zutiefst human. Erst mit unserer Endlichkeit werden wir dazu angehalten, bewusst zu leben und zu handeln und schließlich Konsequenzen zu tragen für das, was wir so alles anstellen. Der Blick auf den Tod (und mag dieser noch so fern sein) ändert immer die Perspektive auf unser Leben. Die zwei Weisheiten "Memento mori" (Gedenke zu sterben) und "Carpe diem" (Pflücke den Tag) sind keine Gegensätze. Das eine folgt aus dem anderen. Unsere Endlichkeit befreit jeden Tag von seiner Beliebigkeit; er wird - etwas pathetisch gesprochen - zum Geschenk.

Es ist kein Zufall, dass der Kinofilm (mit dem wunderbaren Bill Murray und der nicht ganz so tollen Andie MacDowell in den Hauptrollen) sich den 2. Februar ausgeguckt hat. Das nämlich ist ein Tag, an dem wir festlich die Zeit berechnen, genauer: erfahren. Am Murmeltiertag entscheidet sich, ob der Frühling kommt oder weitere sechs Wochen der Winter herrscht. Als Wetterfrosch dient dabei besagter Nager. Ein alter Brauch aus dem frühen 19. Jahrhundert ist das. Allerdings ist es nur eine Exportfeier von deutschen Auswanderern, die in ihrer Heimat derlei Wettervorhersagen am 2. Februar mit Dachsen und Igeln versucht haben sollen und in Übersee dann zum Murmeltier griffen.

Aber selbst das ist nur die volkstümliche Variante eines viel älteren Festes - von Mariä Lichtmeß nämlich, der Darstellung Jesu. Auch das eine Art Zeitmesser, der den Wandel markiert, der Abschied und Ankunft feiert: 40 Tage nach Weihnachten wird das Ende dieser Festzeit angezeigt; die Tannenbäume werden aus den Kirchen geräumt und die Krippenfiguren wieder verpackt. Die Tage werden jetzt wieder länger, eine Ahnung von Frühling legt sich über diesen Tag. Alles an diesem 2. Februar kündet von Wandel und Veränderung.

Nur für Phil nicht - den coolen Reporter, der sich die Welt mit seinem zwar unterhaltsamen, am Ende aber bitteren Zynismus vom Leibe hält. Er, dem nichts heilig ist, trägt Verantwortung immer nur für sich selbst. Seine Welt ist eine Phil-Welt. Kleiner und erbärmlicher geht's wirklich nicht.

Aber so geht der Film natürlich nicht aus. Phil beginnt zu begreifen, was es heißen könnte, human zu sein. Und der Tod ist ihm dabei ein Lehrmeister. Denn jeden Abend begegnet er einem alten Stadtstreicher, der an diesem 2. Februar sterben wird. Weil Phil das weiß, versucht er alles, den Tod abzuwenden. Doch der erweist sich als mächtiger. Es hilft also nichts, dagegen anzukämpfen. Sondern es geht allein darum, ihn zu akzeptieren. Wer den Tod zum Teil des Lebens macht, kann den Wert unserer Endlichkeit begreifen.

Klar, am Ende wird alles gut. Phil wird ein guter Mensch, sorgt sich um andere und findet schließlich seine Liebe. Und dann geschieht das, was uns allen jeden Morgen selbstverständlich ist: ein neuer Tag beginnt; es ist der 3. Februar. Zeit als Glückserfahrung.

Die mündet im berühmten Phil-Ausruf, den im Kino alle lustig finden, in dem aber - wenn auch etwas zugespitzt - eine Erkenntnis unseres Lebens und unserer Humanität ruht: "Alles, was anders ist, ist gut."

(los)
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