Nicola Bramkamp "Frauen am Theater sind benachteiligt"

Theatermacherinnen sollten über ihre Lage sprechen. Eine Theaterchefin und eine Schauspielerin organisieren das jetzt.

Bonn 70 Prozent der Stücke an deutschen Bühnen werden von Männern inszeniert, nur 20 Prozent der Intendanzen sind weiblich besetzt - höchste Zeit, dass Frauen sich vernetzen, findet die Bonner Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp. Über welche Probleme zu sprechen sein wird, erläutert sie im Interview.

Die Me-too-Debatte hat den Blick geschärft für ungute Machtstrukturen im Kulturbereich. Wo stoßen Frauen am Theater auf Benachteiligung?

Bramkamp Da gibt es - neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Folge - leider immer noch viele Bereiche. Darüber wollen wir in Bonn reden. Bei der Bezahlung etwa ist es offensichtlich. Als ich das Theater in Bonn übernommen habe, war ich erschüttert, als ich Einblick in die Gehaltslisten bekam. Eine Schauspielerin um die 40 verdiente etwa 1000 Euro im Monat weniger als ihre männlichen Kollegen. Das ist eine schreiende Ungerechtigkeit, die ich in Bonn sofort behoben habe. Aber es gibt Studien, die zeigen, dass das keine Einzelfälle sind und dass sie nicht mit falscher Bescheidenheit von Frauen zusammenhängen, sondern dass es ein strukturelles Problem gibt. Deutschland liegt auch im europäischen Vergleich bei der Gehältergerechtigkeit ganz hinten. Aber es gibt auch andere Fragen: Warum arbeiten so wenig Frauen am Theater in Führungspositionen, warum ist es für sie so schwierig, Beruf und Familie zu vereinbaren, warum werden Jurys, Auswahlgremien, Regieposten nicht paritätisch besetzt? Darüber müssen wir dringend sprechen.

Verdienen Schauspielerinnen um die 40 nicht auch deswegen weniger, weil sie weniger eingesetzt werden?

Bramkamp Genau, zur strukturellen Debatte gehört also auch eine ästhetische. Das Entgeld-Transparenzgesetz, das Ungerechtigkeiten offen legen könnte, setzt zum Beispiel Vergleichbarkeit voraus. Ist aber eine 40-jährige Schauspielerin, die die Amme in "Romeo und Julia" spielt, vergleichbar mit einem männlichen Kollegen, der "Macbeth" spielt? Es gibt in der Weltliteratur viel weniger tolle Frauenrollen, wie sollen Ensembles darauf reagieren? Im Bereich Migration und Inklusion haben wir schon tolle Fortschritte gemacht. Intendantinnen wie Karin Beier und Shermin Langhoff zum Beispiel haben dazu beigetragen, dass wir heute nicht mehr nur biodeutsche Darsteller auf der Bühne sehen. Auch in der Frauenfrage brauchen wir Bewegung. In Oberhausen gibt es zum Beispiel ein paritätisch besetztes Ensemble, da spielen Frauen auch Männerrollen, das ist eine Herausforderung für Regisseure, für die Sehgewohnheiten des Publikums, da gibt es noch viel Redebedarf.

Wenn sich nun erstmals Frauen in Bonn treffen, um über ihre Anliegen zu sprechen, werden Sie einen Forderungskatalog erarbeiten?

Bramkamp Nein, das wäre zu früh. Wir möchten zunächst einmal dazu einladen, dass Frauen überhaupt zusammenkommen und sich darüber austauschen, wie ihre Lage ist. Und zwar nur unter Frauen. Wir müssen erst einmal den Status quo bestimmen. Zu vielen Themen gibt es noch keine vorherrschende Meinung. Es gibt radikale Forderungen, etwa nach einer Frauenquote in der Regie. Egal, wie man dazu steht, es ist klar, dass es in der Theaterszene strukturelle Veränderungen geben muss.

Die Me-too-Debatte hat ja ein neues Klima der Offenheit geschaffen, in dem nun nicht mehr nur über sexuelle Belästigung in der Kunstszene gesprochen wird, sondern auch über herabwürdigenden Umgang mit Mitarbeitern, wie er etwa in einem offenen Brief Ex-Burgtheaterchef Hartmann vorgeworfen wird. Trifft das vor allem Frauen?

Bramkamp Zu dem Fall Hartmann kann ich nichts sagen. Die Konferenz hatten wir ja schon weit vor jeder Me-too-Debatte geplant. Ich bin mir sicher, es wird auch darum gehen, das bewegt ja gerade die Welt. Das Ensemble Netzwerk, eine Vereinigung von Theaterschaffenden, hat nach den ersten Meldungen eine Umfrage gemacht und nach Vorfällen in der Theaterszene gefragt. Die erste Antwort-Mail kam von einem Mann, der sich von einem homosexuellen Regisseur belästigt fühlte. "Me too" ist also im Kern kein Frauenthema, sondern eine Debatte über Macht und Machtmissbrauch. Diese Debatte ist sehr wichtig. Aber natürlich gibt es in der Kunstszene Exzentriker, anstrengende Charaktere, die für ihre Genialität geschätzt werden. Sicher wäre es falsch, nun in Puritanismus zu verfallen. Trotzdem finde ich es wichtig, dass Betroffene jetzt an die Öffentlichkeit gehen und für Fragen von Macht und Machtmissbrauch sensibilisieren.

Die Theatergeschichte kennt viele Bühnenwüteriche, die Fälle für Me-too-Debatten gewesen wären. Ist das über die Strängeschlagen nicht der Preis für Kunst?

Bramkamp Kunst darf anders, gerne auch exzessiv sein. Im Regiebereich toleriere ich das in gewissen Grenzen, bei einer Theaterleitung sieht das etwas anders aus. Ich denke, man sollte die Rollen genau trennen. In der Regiearbeit geht es um Kunst, in der Theaterleitung geht es um Existenzen, und da sollte eine gewisse Form von Objektivität und Seriösität herrschen. Dafür muss es auch gesetzliche Rahmenbedingungen geben, die Machtmissbrauch und Benachteiligung ausschließen. Wir können nicht als Theaterleute ständig kapitalistische, patriarchale Systeme kritisieren und hinter den Kulissen geht es zu wie vor 50 Jahren. Da gibt es aber bereits eine große Trendwende. Es gibt viele Leitungsteams, neue Intendanten und Intendantinnen, die mitarbeiterfreundlich arbeiten. Da ist das Theater auf einem guten Weg.

Theaterleiter, die ihre Aufgabe nach Standards des modernen Managements erfüllen, wird aber gern vorgeworfen, sie seien zu glatt, und wüssten gar nicht mehr, was Kunst wirklich ist.

Bramkamp Man kann als moderner Intendant ja Künstler engagieren, die noch wissen, was Kunst ist. (lacht) Im Ernst: Es wird vielfältiger und bunter werden am Theater. Wir sind keine Behörde, sondern weiter eine Heimat für bunte Vögel, daran wird auch "Me too" nichts ändern. Und der weiße Mann stirbt auch nicht aus, wenn sich nun Theatermacherinnen in Bonn zum Ritt um den Blocksberg treffen. 300 Frauen haben sich schon angemeldet. Übrigens von der Regieassistentin über die Tontechnikerin bis zur Intendantin ist alles vertreten.

Sind Sie dankbar für die Me-too-Debatte oder lenkt sie die Aufmerksamkeit zu sehr in Richtung sexueller Übergriffe?

Bramkamp Ich finde jede Form von Debatte wichtig. Und jede Form von Solidarität.

DAS INTERVIEW FÜHRTE DOROTHEE KRINGS

(RP)
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