Gabriele Wohmann wird 80

Darmstadt Sonderlich charmant ist diese Zuweisung nicht – schon gar nicht in einer Würdigung zum 80. Geburtstag. Doch trifft es eben auf die Schriftstellerin Gabriele Wohmann genau zu, dass sie unsere Welt mit ihrem "bösen Blick" betrachtet, beschreibt und entlarvt. Über ungute Dramen schreiben zwar andere auch, doch kaum einer findet diese so oft und so ergiebig in jenem überschaubaren Umfeld, das wird das private nennen: die Ehe, die kriselt, das Alter mit all seinen Hinfälligkeiten, die Einsamkeit und andere Handicaps des Alltags. Die Wohmann-Welt ist selten eine schöne, dafür eine oft vertraute, stets lebensnahe.

Gabriele Wohmann ist mit ihren Romanen, Erzählungen, Gedichten und Hörspielen eine Große der deutschen Literatur; eine Vielschreiberin mit fast 100 Büchern, eine große Realistin, Romantikerin – und heutzutage so gut wie vergessen. Ihre große Zeit: sicherlich die siebziger Jahre mit oft lakonischen Geschichten, die der Frauenliteratur nahestanden, die eine neue, radikale Innerlichkeit beschworen. Das Private blieb bei ihr tatsächlich das Private; es gab bei ihr – anders als bei Christa Wolf – von dort keine Brücke zur Politik und den Themen der Zeit.

Wohmann ist in ihrem Schreibleben auf so entschiedene Weise keiner Mode gefolgt, bis ihr der Anschluss an die literarische Gegenwart abhanden gekommen ist. Auch ihr neues Buch ist lesenswert; aber ihre Gedanken zum Diesseits und Jenseits unter dem Titel "Eine gewisse Zuversicht" dürfte nur jene zum Kauf animieren, die der Autorin schon lange gefolgt sind.

Vielleicht gab es im Leben der Gabriele Wohmann auch zu viel Konstanz: Seit fast 60 Jahren ist sie mit Reiner Wohmann verheiratet und lebt nach wie vor in ihrer Geburtsstadt Darmstadt. Ausgerechnet. Die dort ansässige Akademie für Sprache und Dichtung vergibt den Büchner-Preis, doch ihr ist die renommierteste Ehrung für einen Schriftsteller deutscher Sprache bis heute nicht zuteil geworden. Zuletzt war sie es leid und hat darüber bloß noch geschimpft – wohl wissend, dass solche Attacken ihre Preis-Chancen für die Zukunft keineswegs befördern. Na und, vielleicht verleihe man ihr den Preis ja postum, hat sie gesagt.

Ängstlich ist die gläubige Pfarrerstocher nie gewesen. Nicht einmal im Angesicht letzter Dinge: "Sterben ist Mist, der Tod aber schön", hat sie geschrieben. Das langsame Sterben ihrer älteren Schwester Doris ließ sie in ihrem Bericht "Abschied von der Schwester" 2001 erfahrbar werden lassen. Und darin hat sie ein kleines Paradies entworfen: "Haus Sonnenschein" nannten die Schwestern als Kinder jenen erfundenen Ort nur für ihre demolierten Puppen. Ein bisschen heile Welt dann doch, wenigstens in der Phantasie.

Ihrer Entfremdung zum Literaturbetrieb folgte mit den Unbilden des Alters die Entfremdung zum Leben. Vor allem wegen all der -osen, wie sie sagt: ihrer Arthrose und Osteoporose. Das Reisen – eine Unmöglichkeit; Lesungen – eine Zumutung für den Körper. Gerne, so hat sie unlängst erzählt, würde sie "irgendwie noch einmal ans Meer kommen". Aber das sei nicht realistisch. Das sei nicht einmal ein guter Traum für jene Schriftstellerin, die die Illusionen am liebsten mit der Wirklichkeit konfrontierte. Und so entlarvt sie auch den Traum vom Meer als pure Illusion: "Wenn ich einen Traum habe, dann muss der auch realisierbar sein."

Info Neuerscheinungen zum 80. Geburtstag: G. Wohmann: "Eine gewisse Zuversicht". Kreuz-Verlag, 14,99 Euro; Ilka Scheidgen: "Gabriele Wohmann – Die Biografie". Kaufmann, 19,95 Euro

(RP)
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