Düsseldorf "Liebestrank" im Glasbläserhimmel

Düsseldorf · Gaetano Donizettis Oper "L'elisir d'amore" erlebte eine prachtvolle Premiere im Düsseldorfer Haus der Deutschen Oper am Rhein. Juan Anton Rechi besorgte die geistreiche Regie, sängerisch bestachen Anett Fritsch und Ovidiu Purcel.

Nicht selten wird die sogenannte leichte Muse wie die Operette oder die Opera buffa auf unseren Bühnen schwiegermütterlich behandelt. Man packt sie entweder gar nicht oder mit der Kneifzange an. Ihre Betreuung übergibt man in der Regel zweitklassigen Regisseuren, die die Juxkanone abfeuern und auf den direkten billigen Spaß setzen. Geistreiche Unterhaltung ist aber mehr als die Summe der Lacher aus dem Moment.

In dieser Hinsicht hat die Deutsche Oper am Rhein soeben einen Geniestreich hingelegt. Regisseur Juan Anton Rechi hat Gaetano Donizettis "L'elisir d'amore" (Der Liebestrank) als erstaunlich vielschichtiges Meisterwerk enttarnt, er paarte Frohsinn mit Nachdenklichkeit und ließ den Bühnenbildner Alfons Flores hinreißende Bilder erfinden. Alles spielt unter einem funkelnden und blinkenden Himmel aus Tausenden von Partygläsern, die kopfüber vom Schnürboden hängen und dort schillernde Symbolfreude abstrahlen: Sie sind Glöckchen, Tränen, Champagnerpokale, sie kristallisieren Licht, brechen es und lassen es milchig verschwimmen, was angesichts der Idee des Stücks auf der Hand und in der Kehle liegt: Es geht ja um die zauberische Wirkung eines prachtvollen Rotweins (Bordeaux), den ein windiger Kräutermischer einem liebeskranken Jüngling jedoch als geheimnisvolles Elixier vertickert.

Auf dem Weg von seiner erfolglosen Umgarnung einer schönen Frau namens Adina über die lächelnde Abweisung bis zur glücklichen Verlobung am Ende erlebt der Held Nemorino allerlei Geschichten: Eine andere Braut bekommt auf offener Bühne ein Baby; zuvor bekam sie beigebracht, wie man Wehenschmerz wegatmet. Er erlebt eine drollige Tortenschlacht mit einem Nebenbuhler. Er muss zuschauen, wie mit einem Brautstrauß Völkerball gespielt wird. Er macht die Bekanntschaft des Kurpfuschers Dulcamara, der eine mobile Bar mit sich führt. Der Wahnsinn ereignet sich jedoch, wenn er ausnahmsweise nicht zugegen ist (auch ein Kellner hat mal Feierabend): Die Nachricht, dass er reich geerbt hat, macht fix die Runde, weil alle Brautjungfern als erstes ihre Smartphones herausholen und die Botschaft in die Welt simsen, twittern und flüstern. Nur Nemorino in seinem Bordeaux-Wahn bekommt nichts mit. Dafür bekommt er Adina.

Besonders im zweiten Akt wird die Idee des Blasgläserhimmels hinreißend. Er senkt sich nämlich auf die Bühnenerde, was zum einen das Phänomen der alkoholischen Umnachtung hübsch beschreibt, aber auch den Erkenntnisprozess der Adina: In dem Maß, in dem Nemorino entspannter wird, bemerkt sie, wie liebenswert sie ihn findet. Dann muss sie ihren Weg durch einen Schleier aus Nebeltropfen erst finden.

Rechi hat die Charaktere präzise typisiert, nie macht er sie zu Abziehbildchen. Nemorino ist ein hinreißender Sanguiniker, der das Herz auf den Lippen trägt, Adina eine kecke Fesche, Dulcamara ein heiterer Mephisto. Sie alle spielen mit Hingabe, aber sie nehmen ihre Partie zugleich überaus ernst, so dass die komische Oper nicht zur Klamotte verkommt.

Das Wohlbehagen, das den Besucher überkommt, wird beträchtlich vergrößert durch die sängerische Kompetenz. Anett Fritsch leiht der Adina die Fülle ihres wundervollen Soprans - sie kokettiert bis aufs hohe C, entrüstet sich in der Tiefe, schnurrt ihre Koloraturen, aber mitnichten auf dünner Klinge. Ovidiu Purcel ersingt sich ihre (und unsere Zuneigung) durch ein quecksilbrig helles Timbre, das aber nicht wie aus dem Krähwinkel der Tenörchen tönt, sondern in jeder Faser Kern und Sitz hat. Seine Höhensicherheit ist enorm, sein Stilgefühl auch. Seine Arie "Una furtiva lagrima" (Eine verstohlene Träne) wird zur traumhaft perfekten Einheit von Gesang und Bühnenbild. Der vortreffliche Günes Gürle gefällt über die Maßen als dynamischer, zugleich belkantischer Dulcamara; in kleineren Rollen entzücken Luiza Fatyol als Giannetta und Bogdan Bacio als Belcore. Der Chor spielt und singt mit viel Lust und Liebe am Detail.

Lukas Beikircher muss anfangs einige rhythmische Unebenheiten glätten, führt den Abend dann aber tadellos zum Ende. Die Düsseldorfer Symphoniker bieten sehr gepflegtes Musizieren; wie immer darf auch heute der zarte Wunsch ergehen: Gelegentlich könnte noch mehr Aufmerksamkeit auf die betörende Kraft eines differenzierten Pianos gerichtet werden.

Es gibt gigantischen Beifall für eine sehr, sehr schöne Produktion.

(RP)
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