Düsseldorf Der "Wahrspieler" Gert Voss ist tot

Düsseldorf · Der Gigant vom Burgtheater starb nach kurzer Krankheit mit 72 Jahren.

Trauer um Schauspieler Gert Voss
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Er kannte kein Lampenfieber. "Auf der Bühne bin ich durch die Rolle stark, ich kenne dann keine Schüchternheit mehr", hat Gert Voss einmal gesagt. Und so hat er gespielt: ohne jenes letzte Maß an Zurückhaltung, das dem Schauspieler Schutz bieten kann. Voss hielt keine Distanz zu seinen Rollen, er verwandelte sich rückhaltlos in einen Charakter und probierte dann auf der Bühne dessen Möglichkeiten aus, lebte ein anverwandeltes Leben, erlitt eine erdachte Tragödie - einen Abend lang. "Wahrspieler" hat Peter Handke solche Schauspieler genannt. Voss nannte sich lieber einen "raffinierten Lügner".

Dabei war er kein Virtuose, keiner, der brillieren, seine Technik vorführen wollte, keiner, der nur vorgab, ein Wahrspieler zu sein. Er wollte die großen Rollen spielen, weil er sie in sich spürte. Schon als sehr junger Schauspieler in Konstanz und Braunschweig hat er den Regisseuren erklärt, dass ihm die Einstiegsrollen als jugendlicher Held oder Liebhaber zu fade seien. Er besaß den Größenwahn des Genies. Voss suchte die riskanten Charaktere, Typen, die zwischen Gut und Böse wandeln, nicht zu fassen sind. Natürlich war er darum ein herausragender Shakespeare-Darsteller: Richard III., König Lear, Macbeth, diese Herrscher am Abgrund, diese Wahnsinnigen, Tyrannen mit der Melancholie von Clowns, reizten seine Neugier, weckten seinen Instinkt für das Große, Zeitlose, das er aus Rollen schälen konnte. Dann kannte er keine Schonung: Für seinen Othello an der Wiener Burg, dem Haus, das ab Mitte der 80er Jahre seine Heimat wurde, rannte er nachts in den Wald, um laut zu schreien, seiner Stimme etwas Brüchiges zu geben. Er brauchte solche Beschädigungen, Widerstände, gegen die er anspielen konnte. Dann war er unvergleichlich.

Voss war ein Theatermann, der die Energie des Auftritts, den großen Kraftakt an einem Abend brauchte. Dabei hat ihn der Film zur Schauspielerei gebracht. 1941 in Shanghai geboren erlebte er als Kind, wie die Familie nach dem Zweiten Weltkrieg die Stadt verlassen musste. Auf dem Schiff der Ausgewiesenen durften sein Bruder und er an Deck bei den amerikanischen Soldaten schlafen. Und die sahen Filme in der Nacht. Voss hat diese Geschichten aufgesogen, hat sie mit dem Bruder nachgespielt. Es war ihr Weg in eine andere Welt. "Im Spielen vergisst man sich, man kann sich in etwas imaginieren, das man sich wünscht", hat er einmal gesagt.

Mit der naiven Spiellust des Kindes hat er begonnen, an den Bühnen in München, Stuttgart, Bochum zeigte er schnell jene Reife, die ihn zum Star des Burgtheaters werden ließ. Peymann, Peter Zadek, George Tabori waren seine Regisseure; Thomas Bernhard schrieb ihm die Rolle des Philosophen Ludwig Wittgenstein auf den Leib und nannte das Stück "Ritter, Dene, Voss" nach den Darstellern Ilse Ritter, Kirsten Dene und Voss. Solche Achtung erspielen sich nur wenige.

"Ich hoffe, dass man mit dem Älterwerden Ballast abwirft, nicht mehr so viel Kunst machen will, einfacher wird", hat er gesagt, als er 70 wurde. Dabei war seine Kunst nie eine gewollte, sondern bezwingend, mächtig, pur, wie nur selten.

Im Alter von 72 Jahren ist Voss jetzt nach kurzer, schwerer Krankheit in Wien gestorben. Fast hat man das Gefühl, dass mit ihm auch die Zeit zu Ende geht, da Schauspieler eine Ära prägen, Rollen so gültig füllen, dass man sie ohne sie nicht mehr denken kann. Voss hat an diese Macht des Schauspielers geglaubt. Er hat sie wahrhaft verkörpert.

(RP)
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