Analyse Gesetzentwurf empört die Kunstszene
Düsseldorf · Das geplante Kulturgutschutzgesetz stößt auf Widerstand bei Händlern, Sammlern und Künstlern. Es will Kulturgut von nationaler Bedeutung im Land halten. Doch es droht, dass dabei die Freiheit des grenzüberschreitenden Austauschs beschnitten wird.
Wieder einmal geht ein Gespenst um in Deutschland. Diesmal trägt es den hakeligen Namen "Kulturgutschutzgesetz". Das gibt es zwar schon, doch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat einen Entwurf zur Neuregelung vorgelegt, und viele schreien auf. Erst waren es nur Kunsthändler, dann kamen private Sammler hinzu, und jetzt haben sich auch zwei prominente Künstler zu Wort gemeldet: zunächst Georg Baselitz, dann Gerhard Richter. Der Tenor der Kritik lautet: Der Staat will uns vorschreiben, wem wir unsere Bilder verkaufen - insbesondere, ob wir sie über Grenzen hinweg veräußern dürfen.
Baselitz hat angekündigt, er werde seine Dauerleihgaben aus deutschen Museen - etwa der Münchner Pinakothek der Moderne - abziehen, bevor die Neuregelung in Kraft tritt. Richter pflichtete ihm in einem Interview mit der "Dresdner Morgenpost" bei: "Ich würde es genauso machen wie er: die Bilder aus den Museen holen, schnellstens auf den Markt bringen und verkloppen." Ob das überhaupt nötig ist, das erscheint noch offen. Denn man mag sich kaum vorstellen, dass ganze Werkblöcke deutscher Künstler als "national wertvolles Kulturgut" vor Ausfuhr geschützt werden sollen. Auch die Enkelin von Max Beckmann plant den Anzug von Werken.
Bislang war von "nationalem Kulturgut" immer dann die Rede, wenn abendländische Kostbarkeiten nach Amerika abzuwandern drohten. Ältere werden sich daran erinnern, dass der Aachener Sammler Peter Ludwig zu Beginn der 80er Jahre 144 illuminierte Handschriften aus der Spanne vom 7. bis zum 16. Jahrhundert überraschend ans Getty-Museum im kalifornischen Malibu verkaufte, nachdem sich das Kölner Schnütgen-Museum jahrelang um deren wissenschaftliche Aufarbeitung gekümmert hatte. Zuletzt drohte vor vier Jahren Holbeins "Schutzmantelmadonna", eines der bedeutendsten Altmeistergemälde der Welt, ins Ausland verkauft zu werden. Die Hausstiftung des Adelshauses Hessen wollte das Bild, das als Leihgabe im Frankfurter Städel hing, zu Geld machen und lehnte das Angebot eines deutschen Konsortiums als zu niedrig ab. Daraufhin griff der schwäbische Industrielle Reinhard Würth zu und hielt das Bild damit in Deutschland. In solchen Fällen mag das Kulturgutschutzgesetz seine Berechtigung haben. Ebenso ist es wichtig, dass es den illegalen Handel mit Kunst aus Ländern wie Syrien und dem Irak verhindert oder doch zumindest erschwert.
Auf die in Deutschland befindliche Kunst der Moderne und der Gegenwart bezogen, erscheint ein Kulturgutschutzgesetz jedoch strittig. Wollen wir im Zeitalter der Internationalität wirklich, dass bedeutende Werke ein für allemal in Deutschland bleiben, obwohl wir seit Jahrzehnten davon profitieren, dass wir "nationales Kulturgut" aus anderen Ländern besitzen? Man braucht gar nicht auf die Büste der Nofretete oder den Pergamon-Altar auf der Berliner Museumsinsel zu verweisen, die von den Ursprungsländern zu Recht oder zu Unrecht zurückgefordert werden. Man denke nur einmal an die amerikanische Pop-Art. Dank dem Interesse des Sammlers Peter Ludwig war sie in Deutschland bekannt, bevor sie in den USA jemand wirklich beachtete. Dennoch ist sie selbstverständlich ein Produkt der Vereinigten Staaten. Doch die haben klugerweise zu keinem Zeitpunkt Rückforderungen gestellt.
Irrwitzigerweise aber wurden hierzulande vor einem Jahr Forderungen laut, die Warhol-Bilder aus dem Spielcasino in Aachen vor einer Versteigerung bei Christie's in New York zu retten mit der Begründung, es handle sich um Kulturgut aus dem Besitz des Landes Nordrhein-Westfalen und müsse deshalb hier gehalten werden.
Moderne Kunst ist international. Das sollte sich auch im Handel spiegeln. Wer will denn überhaupt entscheiden, ob ein bestimmtes Werk "nationales Kulturgut" ist? Eine Kommission? Gerhard Richter sagt dazu gallig: "Diese Leute haben meist gar keine Ahnung von Kunst." Ohnehin gebe es zu viel Kunst in Museen: "So viel Qualität kann es in der Kunst gar nicht geben."
Angesichts dieser Massen von Kunst in Deutschland ist es eine Illusion, dass ein Auswahlgremium eine Liste mit "nationalem Kulturgut" anlegt. Wie im Falle von Holbeins Madonna besteht dann immer noch die Gefahr, dass ausgerechnet ein Werk von Ausfuhr bedroht ist, das man vergessen hat auf die Liste zu setzen.
Als Kulturnation müssen wir damit leben, dass immer wieder Kunstwerke, die wir für wichtig halten, das Land verlassen und in Übersee einen neuen Standort finden. Umgekehrt profitieren wir von dieser Freizügigkeit, wenn etwa kapitale Werke amerikanischer Kunst zu uns gelangen. Im Zeitalter des Reisens müssen Abschiede von geliebten Kunstwerken ohnehin keine Abschiede für immer sein. Auch die Kunst selbst ist häufiger denn je auf Reisen. Recht betrachtet, brauchen wir ein Kulturgutschutzgesetz allein dazu, den Handel mit Raubkunst zu unterbinden und dem Terrorismus im Nahen Osten eine seiner finanziellen Grundlagen zu entziehen.