Mönchengladbach Grandios: Bruce Springsteen in Gladbach

Mönchengladbach · Der 63-jährige Amerikaner gab ein berauschendes Konzert im Borussia Park in Mönchengladbach. Drei Stunden dauerte der kraftvolle Auftritt, bei dem Springsteen viele Liedwünsche aus dem Publikum erfüllte.

Bruce Springsteen steht auf der Bühne und sieht aus, als wolle er jemandem beim Umzug helfen. Er trägt schwarze Schweißbänder, die von den Handgelenken bis fast zu den Ellenbogen reichen. Er lässt die Arme hängen. Die schmale Krawatte hat er zwischen die Knöpfe ins nasse Hemd gesteckt. Er ist bereit. Der 63-Jährige kneift die Augen zu und schafft es trotzdem, die Brauen hochzuziehen. Das Piano spielt ein paar Takte, die einem bekannt vorkommen, dann singt Springsteen diese Zeilen: "Take me now, baby, here as I am / Pull me close, try and understand". Das Publikum schreit, das Lied heißt "Because The Night", jeder hier weiß das. Springsteen überließ es einst Patti Smith, die damit ihren größten Hit hatte. Er reißt die Augen auf, packt die Gitarre, bringt seinen Song auf Höchstgeschwindigkeit und drückt den Refrain mit dem Zorn des Gerechten in die Arena: "Because the night belongs to lovers / Because the night belongs to us". Statt Menschen sieht man vor der Bühne nur mehr Fäuste: Der Boss hat wieder mal verdammt recht.

Bruce Springsteen tritt im Borussia Park Mönchengladbach auf, und 37 000 erleben ein überwältigendes, ein grandioses Open-Air-Konzert. Dieser Abend auf der seit anderthalb Jahren laufenden und allmählich zu Ende gehenden Welttournee Springsteens übertrifft sogar das Kölner Konzert im Mai vergangenen Jahres. Springsteen entschlackte sein Set, den Block mit Gospeleinlagen hat er gestrichen, vom aktuellen Album "Wrecking Ball" spielt er kaum eine Handvoll Stücke. Stattdessen lässt er das Publikum das Programm gestalten. Es hält Schilder mit Liedwünschen in die Höhe, und der Mann, den sie in den USA den Boss nennen, erfüllt sie. "Lasst uns das nehmen", ruft er den Musikern zu, zeigt in die Menge und spielt den Rock'n'Roll-Klassiker "Shake, Rattle And Roll". Er bringt "Better Days" und "One Way Street", "Rosalita" und "Point Blank", und einige Titel sind Premieren, die E Street Band hat sie auf dieser Tour noch nicht aufgeführt.

Springsteen ist umwerfend gut gelaunt. Immer wieder springt er die drei Stufen hinunter zum Publikum, und man würde sich das Bild gern als Scherenschnitt an die Wand hängen: Der Musikmalocher mit der Gitarre auf dem Rücken. Er trägt das Instrument mit demselben Stolz, mit dem Marlon Brando als Hafenarbeiter in dem Film "Faust im Nacken" den Handhaken, der sein Arbeitsgerät ist, auf der Schulter trägt. Springsteen ist der gute Kerl aus New Jersey, der Problemlöser mit dem frohen Mut, der Kraftmeier mit Sinn fürs Feine – einer, von dem man sich vorstellen kann, dass er in Cowboystiefeln auf seiner Ranch sitzt und Zitate aus dem "Kleinen Prinzen" in sein Notizbuch schreibt. Sie rufen seinen Vornamen, sie ziehen das "U" in die Länge, so macht man das bei Springsteen. Er klatscht Fans ab, umarmt sie, lässt drei Frauen auf die Bühne, nimmt ein Bier entgegen, trinkt ohne abzusetzen aus, die Hälfte lässt er aufs Hemd tropfen, dann reißt er das Griffbrett der Gitarre hoch und singt "Badlands".

Großartig sind jene Momente, wenn die Musiker vergessen, dass sie auf der Bühne stehen, wenn Nils Lofgren das Gitarrensolo in "Because The Night" ins Unendliche dehnt, Springsteen in "Promised Land" Mundharmonika spielt und ein Duett beginnt mit Jake Clemons am Saxofon, dem Neffen des verstorbenen Clarence Clemons. Und weil selbst der Boss manchmal Chef sein muss, ergeht ab und an der Ordnungsruf des Rock: Bei "one, two, three" sammeln sie sich und bringen das Lied gemeinsam zu Ende.

Am größten sind Ausgelassenheit und Spielfreude bei "Waitin' On A Sunny Day", das so gut zu diesem Sonnentag passt mit seiner Schubidu-Stimmung, und das man jahrelang unterschätzt hat in seiner Wirkung, weswegen man es in diesem Sommer wieder häufiger auflegen möchte. Am besten im Auto und bei geöffneten Fenstern, denn das ist überhaupt die beste Gelegenheit, Springsteen zu hören: wenn das Gaspedal durchgedrückt ist. Das euphorisierte Publikum sieht das ähnlich, es nimmt Springsteen die erste Strophe von "Hungry Heart" ab, es singt vom Aufbrechen und davon, nicht zurückzukehren – ein Traum: "I took a wrong turn and just kept going". Volltanken, immer geradeaus, einfach laufenlassen.

Mehr als drei Stunden dauert der Auftritt, aber man spürt nicht, wie die Zeit verstreicht. Alle hier sind gleich wichtig, jeder Fan und jeder Musiker, alle werden gebraucht, weil man ansonsten nicht vollständig wäre, und Springsteen legt immer wieder nach.

Seine daumendicken Adern drücken gegen die Haut am Hals, als er "Born In The USA" in das Stadion spuckt, dieses bittere Lied. Er lacht bei "Dancing In The Dark", weil man nicht anders kann als zu lachen bei "Dancing In the Dark". Und bei "Born To Run" geht unverhofft das Flutlicht an, was aber nicht schlimm ist, denn es gibt keinen anderen Song, der sich besser dazu eignet, das Flutlicht einzuschalten.

So scheint auch am Ende dieses Auftritts die Sonne. Obwohl es schon dunkel ist.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort